Interview
Alles inszeniert? Alte Meister ganz privat
Die aktuell in der Schirn Kunsthalle gezeigte Schau „Privat“ thematisiert anhand zahlreicher zeitgenössischer Positionen den im Wandel begriffenen Privatsphäre-Begriff: Denn was ist heute noch privat, wenn fast alles auf Facebook gepostet wird, wenn Intimes und Vertrautes ganz bewusst in Szene gesetzt werden? In Rahmen der Schau ruft das Schirn Magazin zur großen Blogparade, um sich der Vorstellung und dem Wandel von Privatheit aus möglichst vielen verschiedenen Blickwinkeln zu nähern. Auch wir vom Städel Museum haben uns diese Frage gestellt – denn gab es den Tabubruch der Darstellung des Privaten in der Kunst nicht schon viel früher, etwa in niederländischen Genrebildern des 17. Jahrhunderts? Silke Janßen befragte hierzu Almut Pollmer-Schmidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sammlungsbereich der Alten Meister des Städels.
Almut Pollmer-Schmidt und Silke Janßen | 25.01.2013

Pieter Janssens Elinga; Interieur mit Maler, lesender Dame und kehrender Magd, ca. 1665-70; Leinwand, 82 cm x 99 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main
Die momentan so aktuelle Frage, was privat und was öffentlich ist, ist in der Kunst der Gegenwart ein wichtiges Thema. Ist diese Frage nach den Grenzen des Privaten in der Kunst jedoch ein so gänzlich neues Phänomen? Gab es dies, etwa bei den Alten Meistern, nicht auch schon? Ich denke da vor allem an die niederländischen Interieurs des 17. Jahrhunderts, die ja vermeintlich private Wohnräume zeigen, nicht wahr?
Auf sogenannten Genrebildern, also Figurenstücken, die im 17. Jahrhundert in den Niederlanden entstanden sind, spielen die dargestellten Personen in erster Linie eine Rolle. Auch wenn eine Bildszene etwa sehr detailreich einen Raum im Wohnhaus zeigt – nach unserer Vorstellung ein privater Raum –, bildet dies in der damaligen Zeit jedoch vor allem einen repräsentativen Raum ab, der zugleich als Empfangs- und Geschäftsraum genutzt wurde. Unsere heutige Vorstellung des Privaten gab es damals so wahrscheinlich gar nicht. Dies zeigt unter anderem sehr anschaulich das sich in der Sammlung des Städel Museums befindliche Werk „Interieur mit Maler, lesender Dame und kehrender Magd“ von Pieter Janssens Elinga von ca. 1665-1670. Die dort dargestellte vermeintlich private Szene gibt keinen realen Einblick in ein Familienleben, sondern zeigt im Gegenteil eine fiktive Szene: Alles ist inszeniert.
Das heißt, die abgebildeten Personen oder auch den Haushalt, den wir dort sehen, gab es so gar nicht?
Genau! Die scheinbar in einem intimen Moment abgebildeten Personen sind keine realen Menschen, sondern sie stehen für austauschbare, anonymisierte Figuren in ihren sozialen Rollen. Bei einem konkreten Porträt einer Person würden die Gesichter viel deutlicher und individueller zu sehen sein.. Man kann dieses Gemälde vielleicht mit einem Filmsetting vergleichen, es ist ein beispielhafter Ort mit beispielhaften Menschen, deren Rollen in der Gesellschaft gezeigt werden. Letztlich zeigen sie Rollenklischees, ähnlich wie heute Fernsehsoaps funktionieren.
Und wofür stehen dann die in dieser Zeit von der Bürgerschaft so oft in Auftrag gegebenen Porträts realer Personen? Sind dies private Einblicke oder ebenfalls wiederum Rollen, die wir abgebildet sehen?
Wie gesagt, unser heutiges Bewusstsein für das Private hat es damals so gar nicht gegeben. Das Gemälde „Die Familie des Predigers Reinier Halma in Langerak an der Lek“ (1652) von Jacob Muller und Jacob Gerritsz. van Bemmel funktioniert in etwa wie ein gestelltes Familienfoto aus unserer Großelterngeneration. Wir sehen dort den Prediger Halma mit seiner Familie, der gezeigte Moment stellt jedoch keine private Erinnerung dar, sondern die gesellschaftliche Rolle des Familienvaters und Pfarrers, im Hintergrund ist deswegen beispielsweise die Kirche von Langerak zu sehen. Auch, dass sie in der Landschaft, also dem öffentlichen Raum, dargestellt werden, verweist auf den öffentlichen und eben nicht privaten Charakter des Werkes. Kunstwerke, die wirklich einen Blick auf das private und reale Leben geben, entstanden erst ab Ende des 18. Jahrhunderts.

Jacob Muller und Jacob Gerritsz. van Bemmel; Die Familie des Predigers Reinier Halma in Langerak an der Lek, 1652; Leinwand, 101,5 cm x 133 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main
Dennoch war es eine Neuerung des 17. Jahrhunderts, dass vermeintlich private Szenen in der Genremalerei zum Thema wurden. Woher kam auf einmal das Interesse, dies darzustellen?
In der Tat war dies absolut neu! Dass sozusagen Unbedeutendes, Alltägliches auf einmal auf einem Gemälde dargestellt wurde, ist so erst in dieser Zeit entstanden. Womit dies aber zusammenhängt? In dieser Zeit waren die zwei verschiedenen Sphären, also das Private und das Öffentliche, überhaupt erst einmal im Entstehen begriffen. In jedem Fall wurde damals in der Malerei, was die Gattungen betrifft, viel experimentiert. Es gab auf einmal einen großen Markt an Käufern aus der Bürgerschicht, die auch ungewöhnliche Darstellungen schätzten.
Geschieht in den Werken damit eine Aufwertung des Alltäglichen?
Ja, das ist gut möglich. Dennoch sehen wir in vielen dieser Gemälde auch Fenster, Türen, die den Blick auf die Straße, den Hof, das Hinterhaus lenken. Es gab zu der Zeit eben keine klaren Abgrenzungsorte nach Außen, wie wir sie heute kennen, die dargestellten Interieurs sind in diesem Sinne eher Verbindungsorte zwischen Innen und Außen.
Besonders berühmt sind die Gemälde von Johannes Vermeer van Delft, in denen oftmals eine Person in einem anscheinend sinnenden oder privaten Augenblick dargestellt wird. Warum faszinieren uns seine Werke bis heute?
Die Werke Vermeers zeigen zum einen eine geniale Bildkomposition – auch hier ist alles komplett inszeniert –, auf der anderen Seite wirken die dargestellten Personen universell. Eine Frau, die einen Brief liest, der Geograf, versunken in seine Arbeit: die Figuren wirken auf uns Betrachter wie Projektionsflächen. Auch wenn das jetzt pathetisch klingt, so werden die Figuren zu Orten unserer Wünsche und Sehnsüchte. Hinter der Momentaufnahme scheint sich eine Geschichte zu verbergen, deren Vor- und Nachher das Bild allerdings gar nicht zeigt.
Das heißt, das Private dieses Moments entsteht eigentlich erst im Kopf des Betrachters?
Ja, das macht es auch so spannend! Es ist in diesen Werken noch nicht alles gesagt, man kann sich beispielsweise den Geografen von Vermeer bei uns im Städel Museum auch 30 Mal anschauen und dieses Werk immer wieder anders wahrnehmen, wenn wir andere Fragen stellen.
Almut Pollmer-Schmidt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sammlungsbereich der Alten Meister im Städel Museums und arbeitet derzeit auf Hochtouren an den Vorbereitungen zur großen Dürer-Schau im Herbst 2013. Silke Janßen, die die Fragen stellte, ist als Pressereferentin im Städel Museum tätig. Für das Gespräch trafen sich die beiden, fast ganz privat, im Städel Café.
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