Bild des Monats im Februar: Emil Nolde; Werbung, 1916; 100 x 75 cm, Öl auf Leinwand; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: © Städel Museum – ARTOTHEK; © Nolde Stiftung Seebüll

Von Utenwarf über Sibirien nach Deutsch-Neuguinea

Mit reichlich Malutensilien ausgestattet, brachen der deutsche Expressionist Emil Nolde (1867–1956) und seine Frau Ada aus der nordschleswigschen Heimat 1913 zu einer einjährigen Reise in die Südsee auf. Sie begleiteten eine demographisch-medizinische Expedition, die über Russland, China und die Philippinen ins deutsche Kolonialgebiet führte. Das Ehepaar hoffte auf Begegnungen mit Menschen, die im idyllischen Einklang mit der freien Natur lebten, fernab von Modernisierung und Industrialisierung. Auf der Suche nach dem Unmittelbaren, Ursprünglichen und Unverfälschten wurden sie jedoch schwer enttäuscht. Nolde beklagte den negativen Einfluss des Westens, den Missionare, Händler und das Militär auf die Einheimischen ausübten. Statt dem erwarteten Lendenschurz trug die indigene Bevölkerung westliche Kleidung und Frisuren. Darüber hinaus sorgten aus Europa importierte Krankheiten für einen starken Bevölkerungsrückgang. Noldes schwere Enttäuschung zeigt sich wider Erwarten nicht in den zahlreichen auf und nach der Reise entstandenen Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen. Diese dokumentieren weder die sozialen noch die ökonomischen Zustände in den Kolonien. Ganz im Gegenteil: Meist sind spärlich bekleidete und traditionellen Schmuck tragende exotische Figuren dargestellt und die kleinen Gruppen verschiedenen Geschlechts sind selten in eine Handlung eingebettet.

Hier geht es heiß her!

Im Gegensatz zu den erwähnten Südsee-Bildern ist das in dem Gemälde „Werbung“ von 1916 abgebildete Paar bekleidet und stellt damit eine Ausnahme in dieser Reihe dar. Das Werk, zwei Jahre nach der Reise entstanden, zeigt einen Mann, der in ein grünes, kaftan-ähnliches Gewand mit dunkelrotem Halstuch gehüllt ist. Die junge Frau trägt ebenfalls ein bodenlanges Kleidungsstück, das strahlend blau leuchtet, in Anklang an Darstellungen der Jungfrau Maria. Die starke Vereinfachung der Gewänder lässt eine genaue Bestimmung der Herkunft nicht zu: Die auffällige weiße Kopfbedeckung der jungen Frau erinnert an nordafrikanische Trachten, kann aber auch ein Verweis auf die Bilder von Noldes Malerkollegen Paul Gauguin (1848–1903) sein, in denen er Bretoninnen porträtierte. Die Figuren sind eng aneinandergerückt, in fester Umarmung umschlungen. Die Körperhaltung der Frau verrät jedoch eine unsichere Steifheit, als sei sie nicht ganz sicher, was sie von dem Annäherungsversuch halten soll. Die rechte Hand des jungen Mannes ist im Vergleich zum Rest des Bildes detailliert ausgearbeitet –  unser Blick wird auf den Zeigefinger gelenkt, der zärtlich ihre Wange streichelt, die Impulsivität des Jünglings verliert etwas von ihrer womöglich einschüchternden Kraft. Die Lippen des Verehrers leuchten in einem kräftigen Pink. Der Mund der Frau ist wie vor Verzückung ebenfalls leicht geöffnet, während die Augen geschlossen sind – ein Hinweis darauf, dass sie die Berührung genießt? Weit reißt der junge Mann das rechte Auge auf, um die Angebetete unter seinen begehrlichen Blick zu nehmen. Sowohl die dynamischen Bewegungen als auch der extrem bewegte Pinselstrich und die kontrastreichen Komplementärfarben Grün und Rot transportieren leidenschaftliche Emotionen. Im Hintergrund züngeln Flammen um das Liebespaar. Auch sie verdeutlichen: Hier geht es heiß her!

Emil Nolde; Werbung II, 1919; 24,4 x 18,1 cm, Öl auf Leinwand; © Nolde Stiftung Seebüll

Ein ewiges Hin und Her

Paardarstellungen bilden ein durchgehendes Motiv in Noldes Œuvre. Darin beschäftigt sich der Künstler mit verschiedenen Lebensaltern, der Vielfalt alltäglicher Emotionen oder dem Kampf der Geschlechter, wobei Letzteres eindeutig das zentrale Thema der „Werbung“ bildet. Oftmals spielt Nolde in seinen Bildern mit Stereotypen, sei es die primitive Gier des „wilden“ Mannes oder die latente Überlegenheit des weiblichen Geschlechts. So auch im drei Jahre nach dem Städel-Bild entstandenen Gemälde „Werbung II“ (1919). Obwohl Nolde durch die Titelgebung eindeutig eine Verbindung zwischen den beiden Werken herstellt, tun sich zahlreiche Unterschiede auf. Die spätere Darstellung ist stärker erotisch aufgeladen. Was in „Werbung“ mittels Komposition, Farbgebung und Mimik nur angedeutet wird, ist hier ganz explizit – breitbeinig, die Scham dem Betrachter zuwendend, scheint die Dame relativ unbeeindruckt von der Werbung des Jünglings, der mit feuerroten Haaren, dem dunklen Hautton und den leuchtend blauen Fingernägeln bizarre Züge trägt. Doch es finden sich ebenso Übereinstimmungen: In beiden Bildern vermitteln vor allem die Hände sowie die eindringlichen Blicke der Verehrer die männliche Gier. Keines der beiden Gemälde gibt uns eine eindeutige Auskunft über Erfolg oder Misserfolg der Werbung. Vielmehr weist Nolde uns auf die Ambivalenzen im immerwährenden Kampf der Geschlechter hin.