Bild des Monats
„Zug der Götter nach Walhall“ von Hans Thoma
Eifrig jauchzend schreiten die Götter ihrer Prunk-Burg Walhall mit Pauken und Trompeten entgegen – und damit ihrem Untergang. Noch bis zum 29. September ist das Gemälde „Der Zug der Götter nach Walhall“ von Hans Thoma in der Ausstellung „Hans Thoma. ‚Lieblingsmaler des deutschen Volkes‘“ im Städel Museum zu sehen. Grund genug, es zum „Bild des Monats“ zu machen.
Paula Schwerdtfeger | 20.09.2013

Bild des Monats im September 2013: Hans Thoma; Zug der Götter nach Walhall, 1880; Öl auf Leinwand, 74,3 cm x 62 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main
Das Gemälde „Zug der Götter nach Walhall“ bildet den Abschluss eines fünfteiligen Bildzyklus‘, den Hans Thoma (1839–1924) für den Arzt Otto Eiser zwischen 1876 und 1880 malte. Es zeigt die letzte Szene des „Vorabends“ von Richard Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“. Fast könnte man meinen, Thoma ersinne mit seiner Darstellung eine Parodie auf Wagners „Germanen-Mythos“ – doch ausnahmsweise ist diese Wirkung nicht Thomas „trashigem“ Malstil zuzuschreiben, sondern im Wagner’schen Gesamtkunstwerk bereits angelegt. Mit prahlerischem Heroismus schreiten die Götter darin ihrem Untergang entgegen, wortwörtlich mit Pauken und Trompeten.
Prachtvoll prahlt der prangende Bau!
Es protzen die Bläser, die Pauken schlagen, die Saiten entspannen ein glitzerndes Schwirren. Die Götter beziehen die gigantische Burg Walhall. Um jeden Preis wollten sie die pompöse Festung und so machten sie sich schuldig, diese auch zu zahlen. Wotan, Gott der Götter, hat dem Nibelungen- und Zwergenkönig Alberich den Ring gestohlen, den dieser aus dem Gold der Rheintöchter geschmiedet hatte. Anstatt den Rheintöchtern aber ihren Besitz zurückzugeben, wie es nach den Gesetzen der bestehenden Weltordnung seine Pflicht gewesen wäre, bezahlt Wotan mit diesem die Riesen, die ihm die Burg Walhall errichteten. Fortan liegt ein Fluch auf den Göttern und ihre Dämmerung, das Ende der 16-stündigen Tetralogie Richard Wagners, ist prophezeit. Erst ihr Untergang bringt die natürliche Weltordnung wieder ins Reine.
Rosa, Blau und Gelb
Thoma macht etwas plakativ deutlich, dass er die Szene verstanden hat: Engstirnig und knollnasig, eifrig jubelnd und mit glänzenden Augen sind die sündigen Götter geblendet vom erreichten Ziel. Auf einem gegenüber liegenden Felsgipfel gebaut, bleibt der verlockende Ort dem Blick des Betrachters verwehrt. Wie Götter wirken die Figuren nicht. In knalligen Farben – Rosa, Blau und Gelb – steht in dem Gemälde der Regenbogen über der grauen Erde. Die nordgermanische Göttin Freia geht voran, einen der goldenen Äpfel ewiger Jugend in die Höhe streckend. Es folgen ihr Wotan, im Arm seine Frau Fricka, dann die Götter Donner und Froh sowie Loge, dessen orangefarbene Haare zuckend an sein Element Feuer erinnern. Letzterer weist mit der linken Hand noch einmal herunter zum Fluss mit den klagenden Rheintöchtern – alle Ebenen der Schlüsselszene greift Thoma auf.
Sinnbilder nationaler Identität
Im selben Jahr, in dem Thoma den Auftrag für den Bilderzyklus zum Nibelungenring erhielt, gründete der Auftraggeber Otto Eiser auch den Frankfurter Wagner-Verein, dessen Mitglieder ein völkisch-nationalistisches Gedankengut teilten. Wagners Enthistorisierung des Nibelungenlieds, das die Romantik gerade als „urgermanisch“ ausgegraben hatte, war der Versuch, auf dem „zeitlosen Mythos“ eine eigenständige, deutsche Oper zu begründen. Beflügelt durch die antisemitischen Ansichten des Komponisten Wagner und vor allem seiner Frau Cosima umwaberte völkischer Nationalismus den Grünen Hügel. Die dort geschaffenen, elementaren Heldenfiguren dienten im ausgehenden 19. Jahrhundert als Sinnbilder nationaler Identität. Diese Verherrlichung des Germanisch-Heldischen nahm Thoma für ein Wandgemälde für den Frankfurter Wagnerianer Simon Ravenstein auf, das dann leicht verändert auf Postkarten im Ersten Weltkrieg reproduziert wurde: Siegfried der Drachentöter steht nun allegorisch für den Sieg des Kaiserreichs.
Vom völkischen Nationalismus ist es nur ein kleiner Schritt zum Nationalsozialismus. So müssen sich sowohl die Werke Richard Wagners als auch diejenigen Hans Thomas immer wieder einer kritischen Auseinandersetzung aufgrund ihrer Inanspruchnahme durch die Nationalsozialisten unterziehen.
Postheroische Gangster-Götter
Wenn wir Thomas Bilder als „parodistisch“, „trashig“ oder „kitschig“ erleben, wird deutlich, dass wir die einstigen ideologischen Verknüpfungen in seinem Werk nicht mehr rezipieren können – in der diesjährigen Inszenierung von „Rheingold“ bei den Bayreuther Festspielen scharten sich die Götter aus dem „Ring der Nibelungen“ als Halbstarke, Prostituierte und Zuhälter um das Golden Motel an der Route 66. Ihr verachtungswürdiges Handeln veranlasste den Regisseur Frank Castorf dazu, sie in eine amerikanische Gangster-Familie der 1960er Jahre zu verwandeln. Durch diese Verortung im amerikanischen Film habe Castorf dem Nibelungenstoff das „zeitlose Germanentum“ ausgetrieben, so die Kritiken. Vielleicht reicht der Blick unserer postheroischen Gesellschaft, um den programmatischen Idealisierungen des 19. Jahrhunderts zu begegnen und sie nach einer Dekonstruktion einer Neubewertung zuzuführen. In Thomas Fall offenbart sich das Profil eines Künstlers, der sich ganz den Interessen seines Auftraggebers hingibt: Wagners Suggestionskraft charakteristisch in Szene gesetzt von der zweiten künstlerischen Leitfigur des völkischen Nationalismus.
Autorin Paula Schwertfeger tauchte für diesen Blogtext in die Tiefen des Wagner’schen Kosmos ein und so kann es kaum wundern, dass sie sich nun in Anlehnung an die Namen der Rheintöchter – Woglinde, Wellgunde und Flosshilde – „Wortlinde“ nennen wird.
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