Die Raphael Collection
Royal Connections
Eine Bilddatenbank, die alle Werke eines Künstler versammelt. Klingt unspektakulär? Nicht in den Anfangsjahren der Fotografie: Die „Raphael Collection“ war Prinz Alberts große Vision – und letztlich ein kompliziertes europäisches Projekt. Mit Happy End.
Marie-Kathrin Blanck | 31.05.2019
Die Raphael Collection sollte alle bekannten Meisterwerke des Renaissance-Meisters Raffael als Reproduktionen an einem Ort versammeln. Das Vorhaben – Mitte des 19. Jahrhunderts erdacht – erinnert an ein Projekt, auf das ein fortschrittlicher Internetkonzern auch heute noch stolz ist: 2018 launchte Google die Website Meet Vermeer, auf der alle Gemälde zu finden sind, die der Künstler zu Lebzeiten geschaffen hat. Das sind zugegebenermaßen nicht viele, nur 36. Aber sie sind über 18 Museen – darunter auch das Städel – und sieben Länder verteilt.
Auch ohne multimedial angereicherte Website können wir heute Kunstwerke im Netz suchen, in Digitalen Sammlungen stöbern oder gleich virtuell durch Museen reisen. Diesen Komfort verdanken wir nicht nur dem Internet, sondern zu allererst – und hier müssen wir eben fast zwei Jahrhunderte und zur Raphael Collection zurückgehen – der Erfindung der Fotografie. Auch vor ihrer Geburtsstunde 1839 gab es zwar Reproduktionen von Kunstwerken, aber sie mussten aufwendig per Hand geschaffen werden, etwa in Form von Zeichnungen oder Kupferstichen.
Royale Regie
Die Fotografie als Reproduktionsmittel steckte noch in den Kinderschuhen, als die Raphael Collection ins Leben gerufen wurde – das Meet Vermeer der analogen Zeit oder: eine vollständige „Bilddatenbank“ aller damals bekannten Werke Raffaels. Werke, von denen es keine Zeichnungen oder Kupferstiche gab, sollten per Fotografie reproduziert werden – ein aufwendiges Unterfangen angesichts der logistischen und technischen Gegebenheiten der Zeit. Doch das Projekt stand unter royaler Regie: Prinz Albert, ein früher Verfechter des neuen Mediums, hatte es zur Chefsache erklärt.

John Jabez Edwin Mayall, Queen Victoria and Prince Albert 1861
Prinz Albert von Sachsen-Coburg und seine Ehefrau Queen Victoria waren große Förderer der Künste. Beide hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die umfangreiche königliche Sammlung zu systematisieren und für kunsthistorische Untersuchungen nutzbar zu machen. In der Sammlung befanden sich auch zahlreiche Raffael-Werke, mehr als von jedem anderen Künstler. Daher schien es nur logisch, Raffael zum Gegenstand dieser ersten Bestandsaufnahme zu machen. Der größte Teil von Raffaels Oeuvre war jedoch über mehrere europäische Länder, zahlreiche Museen und Privatsammlungen verteilt. Und so entwickelte sich die Raphael Collection bald zu einem großen transeuropäischen Projekt.
Know-how aus Frankfurt
Ein enger Verbündeter Alberts saß in Frankfurt am Main: Johann David Passavant war ausgewiesener Raffael-Experte und zu jener Zeit Direktor des Städel Museum (1840-1861), obendrein auch noch ein Freund der Fotografie: Unter seiner Leitung war das Städel eines der ersten Museen überhaupt, das eine eigene Fotosammlung aufbaute.

Friedrich Carl Vogel (1806–1865); Porträt Johann David Passavant, 1846; Historisches Museum Frankfurt, Frankfurt am Main
Prinz Albert, selbst Deutscher, war mit Passavants Raffael-Monografie von 1839 gut vertraut. Sie galt damals als das wichtigste Werk zum Leben und Oeuvre des Künstlers. Mithilfe der Monografie versuchten Albert und seine Berater zunächst alle Raffael zugeschriebenen Werke aufzuspüren und standen dabei mit dem Städel Direktor in engem Kontakt. Prinz Albert ließ von den in Europa verteilten Werken fotografische Reproduktionen anfertigen, die er dann nach Frankfurt zur Begutachtung schickte. Anhand dieser sollte Passavant die Echtheit der Werke bestätigen. Mithilfe der Fotografien entlarvte Passavant so viele Fälschungen und fehlerhafte Zuschreibungen an Raffael.
Auch das Städel Museum war mit Grafiken Raffaels in der Raphael Collection vertreten. Passavant beauftragte hierfür die Fotografen Johann Schäfer und Philipp Hoff, Reproduktionen der Werke anzufertigen und sandte diese nach Windsor.
Ein europäisches Projekt
Mit der Raphael Collection ermutigte Prinz Albert auch andere Museen und Sammler in ganz Europa, das neue Medium zu nutzen. Das Projekt konnte nur mithilfe zahlreicher Fotografen, Museen, Direktoren, Kunstwissenschaftlern und Sammlern realisiert werden, darunter dem Berliner Museumsdirektor Gustav Friedrich Waagen oder dem offiziellen Museumsfotografen des South Kensington Museums (später Victoria and Albert Museum) in London, Charles Thurston Thompson.
Dieser fotografierte 1857 sowohl eine Auswahl an Prinz Alberts Raffael-Zeichnungen als auch im Jahr 1858 die großen Raffael-Kartons in Hampton Court. Die Fotografien wurden sogar direkt über das South Kensington Museum verkauft: Anstatt die schlecht beleuchteten Kartons zu besichtigen, konnte so jeder ein Exemplar für zuhause erwerben. Neben sammelnden Institutionen waren dies vor allem Haushalte aus dem Bildungsbürgertum, da derartige Reproduktionsfotografien nicht billig waren.
Schwierigkeiten der frühen Fotografie
Die Raphael Collection musste nicht nur Ländergrenzen überwinden, sondern auch mit technischen Schwierigkeiten zurechtkommen. Die frühe Schwarz-weiß-Fotografie konnte etwa Abstufungen in der Farbigkeit nur schwer erfassen. Daher wurden diese oftmals nachträglich per Hand koloriert, sodass sie dem originalen Gemälde möglichst nahe kommen. Passavant musste jedoch wiederholt um neue Fotografien bitten, weil die zugesandten Beispiele die Kunst Raffaels nur ungenügend wiedergaben. Zu einer handkolorierten Porträtfotografie des Marchese Federico da Mantova schreibt er 1859 in einem Brief: „Es scheint mir, daß der Künstler bei der Überarbeitung zu sehr von seiner sonderbaren Meinung eingenommen war, daß Raphael dieses Portrait nach einem Mädchen gefertigt habe“.
Auch die Lichtverhältnisse in den Museen und Galerien stellten ein großes Problem dar. Gemälde und Zeichnungen mussten daher meist draußen bei Tageslicht fotografiert werden – ein Graus für heutige Restauratoren. Immer wieder kam es zu Verzögerungen. So musste Passavant auf die fotografischen Reproduktionen der Raffael-Kartons aus London mehrere Monate warten – schuld war offenbar das Regenwetter im Königreich und ein Mangel an passendem fotografischen Papier.

Charles Thurston Thompson, Der wunderbare Fischzug, fotografische Reproduktion nach Raffael, ca. 1859, Albuminpapier auf Karton, Städel Museum, Frankfurt am Main
Doch die schwierigen Umstände konnten der deutsch-britischen Freundschaft nichts anhaben. 1876 – nach 23 Jahren – war die Raphael Collection vollständig. Zum Dank für seine Hilfe schenkte Prinz Albert Passavant ein Album mit 52 Fotografien von ausgewählten Raffael-Zeichnungen aus seiner Sammlung, versehen mit einer persönlichen Widmung: „Dem Biographen Raphael’s Herrn Inspector J.D. Passavant in dankbarer Anerkennung seines verdienstvollen Werks“.

Widmung von Prinz Albert an J. D. Passavant „Dem Biographen Raphael’s Herrn Inspector J.D. Passavant in dankbarer Anerkennung seines verdienstvollen Werks“ (Buckingham Palace, vom 3. März 1857), in: Raffaelles drawings in the Royal Collection at Windsor Castle / photographed by command of His Royal Highness Prince Albert by C. Thurston Thompson, Frankfurt am Main, Städel Museum
Die Raphael Collection heute
Der kunsthistorische Nutzen der Raphael Collection ist für die heutige Forschung fast unermesslich. Sie gibt Einblick in die beginnende Kunstwissenschaft und die Verbreitung des neuen Mediums der Fotografie im 19. Jahrhundert. Die originale Sammlung befindet sich noch heute in der Royal Collection in Windsor.
Abbildung oben: Philipp Hoff, fotografische Reproduktion, Gott zeigt Noah den Regenbogen, Albuminabzug, nach 1857-1861, Raffael?, Reproduktion aus der Sammlung des Städel Museums, Frankfurt am Main, Royal Collection Trust, copyright Her Majesty the Queen Elizabeth II 2019
Marie-Kathrin Blanck ist kuratorische Assistentin für Fotografie am Victoria and Albert Museum in London und am Royal Albert Memorial Museum in Exeter im Rahmen des Photography Curators‘ Training Programme. Für ihre Bachelorarbeit studierte sie die frühen Fotografien in der Sammlung des Städel Museums.
Im Sommer 2019 wird die gesamte Raphael Collection erstmals online zugänglich gemacht. Sie ist Teil des Prince Albert Digitisation Projects, das 23.500 Objekte vor allem aus den Royal Archives und der Royal Collection versammelt.
Kommentare (2)
Guten Tag! Ich habe mich über den gründlich recherchierten Beitrag gefreut und habe nun eine Anmerkung zu den Untertitelungen. Dort wird von albuminisiertem Salzpapier gesprochen. Das ist m.E. widersprüchlich, da Albuminpapier und Salzdruck zwei sehr unterschiedliche Verfahren in der Herstellung von Fotografien darstellen.
Das Albuminpapier zählte bis 1900 zu den beliebtesten Kopierpapieren. Das Verfahren wurde am 27. Mai 1850 von Louis Désiré Blanquart-Evrard (1802–1872) der französischen Akademie der Wissenschaften vorgestellt und beschrieben. Das Albuminpapier ermöglichte detailreichere und kostengünstigere Fotografien als die bis dahin gebräuchlichen Methoden der Talbotypie, Ambrotypie sowie Daguerreotypie und ergab einen warmen Bildton. Sein Detailreichtum wird selbst von modernen Kopierpapieren nicht erreicht.
Als Salzdruck oder auch fotogenische Zeichnung bezeichnet man ein fotografisches Verfahren (Negativ-Verfahren) aus der Frühzeit der Fotografie, das von William Henry Fox Talbot zwischen 1834 und 1839 entwickelt wurde.
Heute erlebt der Salzdruck eine kleine Renaissance.
Salzdruckpapiere werden erzeugt, indem ein qualitativ gutes Papier in einer Kochsalzlösung getaucht, dann getrocknet und mit Silbernitrat sensibilisiert wird. Anschließend wird das Papier kontaktschlüssig mit einem Negativ mittels Tages- oder UV-Licht belichtet. Es handelt sich um ein Kopierverfahren, das lediglich der Fixierung und Wässerung bedarf.
So sind beide Verfahren auf eine Sensibilisierung mit Silbernitrat angewiesen, ergeben aber in Detailreichtum sehr unterschiedliche Ergebnisse.
Mit freundlichen Grüßen
Philipp Nickerl
Lieber Philipp Nickerl, danke für deinen Kommentar. Albuminisiertes Salzpapier gibt es tatsächlich: Dafür wurde das Salzpapier mit einer zusätzlichen Appretur aus Gelatine, Albumin oder Stärke versehen. So entstand eine leicht glänzende Oberfläche.