Buchtipp des Monats
„Emil Nolde: Die Farben sind meine Noten“
Das Städel gibt in der großen Nolde-Retrospektive mit zentralen Werken, selten und noch nie ausgestellten Arbeiten einen besonderen Einblick in seine Bilderwelt. Die Auswahl reicht von expressionistischen Landschaften über rauschende Nachtszenen und exotische Südseemotive bis hin zu religiösen Darstellungen. Doch wer steht hinter dieser Vielfalt? Unser Buchtipp im März, die Biografie von Kirsten Jüngling, gibt Einblick in das Leben Noldes vor dem Hintergrund einer spannungsreichen Zeit.
Silke Janßen | 06.03.2014
Emil Nolde, der Maler aus Schleswig-Holstein – mit Stationen unter anderem in St. Gallen, Berlin, München, Kopenhagen, Paris und auf Papua-Neuguinea. Emil Nolde, der Maler, der mit expressionistischen und farbenfrohen Blumenbildern berühmt wurde, aber auch für eine Erneuerung religiöser Darstellungen eingetreten ist. Nur zwei von vielen Facetten in Noldes Leben und Werk, die neugierig machen auf einen Werdegang, der scheinbare Gegensätze, die ein ganzes langes Leben füllen, vereint. Grund für uns, die im vergangenen Jahr erschienene Biografie über Emil Nolde von Kirsten Jüngling auf dem Städel Blog als Buch des Monats anlässlich unserer Nolde-Retrospektive genauer vorzustellen.
Eigenwillig und atmosphärisch
Die Publizistin Kirsten Jüngling bietet in ihrem Buch dem Leser die Möglichkeit, die 89 Lebensjahre von Emil Nolde (1867–1956), der als Hans Emil Hansen in Nolde in Schleswig-Holstein geboren wurde, mit zu verfolgen. Man ahnt bereits beim Lesen der ersten Kapitel: Der Weg vom Bauernsohn bis zum international anerkannten Künstler, der 1955 Teilnehmer der documenta I war, ist weit, vor allem aber vielseitig und überraschend. Kirsten Jüngling gelingt es, diesem Weg nachzuspüren, ohne dabei jedoch den Mythen und Klischees einer Künstlerbiografie zu verfallen. Die Autorin bleibt bei den Fakten. Sie zitiert aus Briefen, recherchierte in Archiven und sprach mit Experten. Der erfahrenen Publizistin Jüngling, die bereits Biografien über Franz und Maria Marc oder Katia Mann verfasst hat, gelingt eine umfassende Studie. So erfährt der Leser viele Details aus dem Leben Emil Noldes, erhält Einblick in sein Leben mit Ehefrau Ada, Weggefährten und langjährigen Unterstützern. Das Buch entspricht allerdings nur bedingt dem gewohnten Ablauf einer Biografie, es beginnt beispielsweise nicht mit dem obligatorischen Geburtsdatum, sondern mit einer Stimmung – einer Stimmung, wie sich der 16-jährige Nolde auf dem heimatlichen Hof gefühlt haben könnte, nur um dieses recht romantische Bild gleich wieder zu hinterfragen. Damit schafft das eigenwillig verfasste Buch, atmosphärisch dichte Bilder im Kopf des Lesers zu erzeugen: „Im Boot stakend sich einen Weg durchs Schild bahnen, um einen Aal zu stechen oder eine Ente zu schießen, oder einfach das ruhige Gleiten übers Wasser genießen. Auf dem Sommerdeich stehen, im Duft der Rosen, die den Südhang der Warft bis hinunter zu dem schmalen Teich bedecken, der voller Fische ist und umstanden von vielfarbig blühenden Stauden“ – das Leben auf Seebüll, der späteren Wohnstätte des Ehepaars Nolde, wird hier skizziert.
Jenseits von Schwarz und Weiß
Natürlich dürfen auch die autobiografischen Schriften Emil Noldes als Quellenmaterial für das Buch nicht fehlen. Doch dessen Aussagen prüft und hinterfragt die Autorin kritisch, rückt manches zurecht, verdeutlicht und hebt hervor. Sie vergleicht beispielsweise sehr genau die verschiedenen Editionen des von Nolde verfassten autobiografischen Werks „Jahre der Kämpfe“, das erstmals 1934 erschien und 1949 erneut – mit gestrichenen, unter anderem auch antisemitischen Passagen – herausgegeben wurde. Emil Noldes Verhältnis zu den Nationalsozialisten wird aufgearbeitet, auch hier zeigen sich die Widersprüche in seiner Biografie: Vermutlich gehörte er bereits 1934 der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig an, seine Werke wurden von Propagandaminister Joseph Goebbels geschätzt und gesammelt. Gleichzeitig wurden seine Gemälde und Aquarelle aber auch tausendfach aus Museen beschlagnahmt, schließlich waren knapp 50 seiner Werke in der Femeschau „Entartete Kunst“ zu sehen. Ohne zu beschönigen oder zu verschärfen, gelingt es der Autorin mit dieser Biografie, den Werdegang Emil Noldes ohne Schwarz-Weiß-Malerei zu schildern. Neben dem Katalog zur Ausstellung, der die Werke der Retrospektive zusammenbringt und mit fundierten Beiträgen den neuesten Stand der kunsthistorischen Forschung bietet, ist dieser Band die ideale Lektüre, um Noldes Werk und seine Person besser zu verstehen – ob nun vor oder nach dem Besuch der Retrospektive im Städel.
Kirsten Jüngling, Emil Nolde: Die Farben sind meine Noten
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013
Propyläen Verlag, 2013
Gebunden, 325 Seiten
ISBN-10: 3549074042
22,99 Euro
erhältlich im Städel Museumsshop
Die Autorin Silke Janßen arbeitet in der Presseabteilung des Städel Museums. Nachdem sie die Biografie von Emil Nolde so eingehend verfolgen konnte, freut sie sich nun in der Retrospektive auf die Begegnung mit den Werken.
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