Ein ganzer Saal mit Beckmann-Arbeiten: Im Mittelpunkt steht das Werk „Stillleben mit Saxofonen“ von 1926.

Herr Krämer, derzeit empfängt die Besucher beim Eintreten der Sammlungsräume der Kunst der Moderne nicht das bekannte Werk „Goethe in der Campagna“ von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, sondern ein ganzer Saal mit Beckmann-Arbeiten. Wie kommt’s?

Wir haben das Gemälde „Goethe in der Campagna“ derzeit für eine spannende Ausstellung nach Großbritannien verliehen: Dort ist es vom 16. Oktober 2014 bis zum 25. Januar 2015 in der Ausstellung „Germany: Memories of a Nation“ im British Museum in London zu sehen. Wir wollten den Platz nicht mit einem anderen Werk auffüllen ohne sonst etwas zu verändern. Das würde auch gar nicht gehen – als Hauptarbeit im Raum bildet „Goethe“ den Mittelpunkt und ermöglicht dadurch viele inhaltliche Beziehungen zu den anderen Werken. Das Gemälde also einfach auszutauschen wäre nicht sinnvoll. Wir haben uns deshalb entschieden, den Raum mit Werken von Max Beckmann komplett neu zu hängen.

Im Beckmann-Saal zu sehen: Max Beckmann (1884–1950); Selbstbildnis, 1905; Öl auf Leinwand, 43,9 x 55,1 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – U. Edelmann – ARTOTHEK; © VG Bild-Kunst Bonn

Von Goethe zu Beckmann – wie sind Sie darauf gekommen? 

In unserer Sammlung der Kunst der Moderne weisen nur wenige Künstler oder Werke eine ähnlich starke Verbundenheit zu Frankfurt wie das Tischbein-Gemälde auf. Bei Max Beckmann ist dies jedoch der Fall: Er leitete von 1925 bis 1933 ein Meisteratelier an der Städelschule, wurde 1929 zum Professor ernannt und lebte hier bis 1937. Aus diesem Grund haben wir in der Städelschen Sammlung einen großen und sehr wichtigen Bestand an Beckmann-Werken. Diesen wollten wir mit der Umhängung stärker präsent werden lassen.

Das Kabinett mit Beckmann-Schülern oder Freunden zeigt unter anderem dieses Werk: Inge Dinand (1907–2003); Kinderbildnis, 1932/33; Öl auf Leinwand, 50,5 x 31,2 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – ARTOTHEK; © VG Bild-Kunst Bonn

Auch die umliegenden Kabinette des jetzigen „Beckmann-Saals“ wurden komplett verändert. Was gibt es hier zu entdecken?

Natürlich haben die kleineren, an den Saal angrenzenden Kabinette, einen inhaltlichen Bezug zu dem größeren Raum. Wir haben nun die Chance ergriffen, Max Beckmann in der ständigen Sammlung in einem anderen Kontext zu zeigen und beispielsweise seine Rolle als Lehrer an der Städelschule zu thematisieren: In einem Kabinett präsentieren wir Bilder von Inge Dinand, Ugi Battenberg oder Friedrich Wilhelm Meyer, die alle Beckmann-Schüler oder seine Freunde waren. Dies bietet nun den Besuchern die seltene Gelegenheit, Arbeiten aus Beckmanns künstlerischem Umkreis, die in der Städel-Sammlung vertreten sind, zu sehen. In dem anderen anliegenden Kabinett sind Gemälde und Fotografien von Künstlern der Neuen Sachlichkeit ausgestellt, der Beckmann zugeordnet wurde. Umhängungen gehen oft mit einer Befragung und manchmal auch Neubewertung des eigenen Bestands einher. So sind in diesem Raum beispielsweise viele Arbeiten von Künstlerinnen ausgestellt, die in den vergangenen Jahren zu Recht eine größere Aufmerksamkeit erfahren haben, wie Ottilie W. Roederstein, Elfriede Lohse-Wächtler und Milly Steger. Der Kanon kann sich nur verändern, wenn er befragt wird! Und dies geschieht, wenn Werke weniger bekannter Künstler ebenfalls gezeigt werden. Dafür bieten solche Umhängungen wunderbare Möglichkeiten.

Im Impressionisten-Saal: Antoine Chintreuil (1814-1873); Landschaft mit Sonnenlicht und Regenwolken (La Fenaison); 96 x 133,5 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main; Foto: Städel Museum – U. Edelmann – ARTOTHEK

Im großen Impressionisten-Saal sind neben Werken von Rodin oder Renoir nun auch weniger bekannte Künstler vertreten. Wie wirkt es sich auf den Raum aus, wenn sich wie hier die Nachbarschaften der Bilder verändern?

In dem Saal sind mit Gemälden von Aureliano de Beruete, Antoine Chintreuil und Marie Bertuch gleich mehrere Werke heute fast vergessener Künstler zu sehen. Dabei ist es spannend zu beobachten, wie sich diese Arbeiten neben Gemälden von Claude Monet oder Max Liebermann behaupten und wie die Besucher auf sie reagieren. Zu unserer großen Überraschung hat sich zum Beispiel die Landschaft von Chintreuil zu einem der Publikumslieblinge entwickelt. Auch aus diesem Raum sind mehrere Hauptwerke verliehen oder werden zur Vorbereitung unserer großen Impressionisten-Ausstellung im nächsten März in der Restaurierungsabteilung wissenschaftlich untersucht.

Arbeiten des deutschen Malers und Bildhauers Fritz Boehle werden derzeit in einem eigenen Kabinett präsentiert.

Arbeiten des deutschen Malers und Bildhauers Fritz Boehle werden derzeit in einem eigenen Kabinett präsentiert.

In der Sammlung Kunst der Moderne gibt es ein Kabinett, das Sie halbjährlich immer wieder komplett umhängen. Derzeit sind Arbeiten des deutschen Malers, Zeichners und Bildhauers Fritz Boehle zu sehen. Er lebte lange Zeit in Frankfurt und besuchte ab 1886 die Städelschule. Zu Lebzeiten war er sehr berühmt, heute ist er hingegen fast vergessen. Was reizte Sie an der Präsentation seiner Arbeiten?

Die Werke von Fritz Boehle, wie „Pflügende Bauern“ oder „Zwei nackte Männer mit Pferden“, zeichnen sich durch ihre volkstümliche Monumentalität aus. Boehle war Anfang des 20. Jahrhunderts der populärste Künstler Frankfurts. 1907 gab es eine große Ausstellung im Städel Museum, die ihn auch national bekannt machte. Im Frankfurter Günthersburgpark steht die nach seinen Entwürfen gefertigte Skulptur „Schreitender Stier“. Obwohl Boehle damals zum Kanon gehörte, hat sich die Beurteilung seiner Arbeiten später grundlegend verändert. An diesem Beispiel zeigt sich, wie relativ solche Urteile sind. Der stetige Blick in die eigene Sammlung ist dabei wie ein Fenster in die Gegenwart, denn die meisten Werke der Moderne kamen zu ihrer Entstehungszeit ins Haus. Insofern kann uns die Beschäftigung mit Boehle auch etwas über die Wahrnehmung von zeitgenössischer Kunst verraten und vielleicht zum Nachdenken animieren. Wer der Boehle der Zukunft ist, bleibt abzuwarten.

Vielen Dank für das Gespräch!