1. Herr Alsmann, was treibt Sie nach Frankfurt und warum besuchen Sie heute das Städel Museum?

Momentan bin ich sehr viel auf Tournee und gebe im Jahr rund hundert Konzerte. Gemeinsam mit meiner Band spiele ich gerade im Großraum Rhein-Main. Wir waren gestern in Bad Homburg, reisen heute nach Aschaffenburg, geben morgen ein Konzert in Offenbach und beenden diese kleine Reise dann in Rüsselsheim.
Meine Band und ich sind zu sechst als Reisegruppe unterwegs. Wir haben manchmal sehr unterschiedliche, teilweise jedoch auch sehr ähnliche Interessen. In unserer Band haben wir einen kleinen Dreier-Club, der bei jeder Gelegenheit versucht sich Ausstellungen anzusehen. Unsere viertägige Tournee im Großraum Frankfurt hat uns gestern spontan auf die Idee gebracht, heute doch mal in das Städel zu gehen.

2. Wir haben Sie in der Ausstellung „Schwarze Romantik“, versunken vor den Werken Goyas, angetroffen. Wie hat Ihnen die Ausstellung gefallen?

Ich hatte im Vorfeld natürlich schon Rezensionen gelesen. Eigentlich interessiert mich alles, was es in der Ausstellung „Schwarze Romantik“ zu sehen gibt, aber ich wollte unbedingt einmal die Bilder von Alfred Kubin sehen.  Mit großem Interesse habe ich seinen Roman „Die andere Seite“ gelesen. In der Phase der Erfolglosigkeit als Grafiker hat Kubin ja diesen eigenartigen – wie soll man das nennen – Science-Fiction-Roman geschrieben, welcher wiederum alle möglichen Autoren von Frank Kafka bis Ernst Jünger beeinflusst hat. Selbst wenn nicht allzuviele Werke Kubins in der Ausstellung zu sehen waren, gab es andere zahlreiche, tolle Impressionen. Es ist schon beeindruckend, wie viele Maler sich durch die Zeiten auf Shakespeares „Macbeth“ berufen – das hat mir gut gefallen. Gerade der Ansatz der Ausstellung, die unterschiedlichen Medien zu integrieren ist sehr gut – hier kann man den Geist noch ein bisschen mehr fliegen lassen. Deswegen werde ich auch sicherlich noch mal wiederkommen.
Diese Ausstellung trifft außerdem den Zeitgeist der jungen Leute, das Bohemienhafte genauso wie das Jenseitssüchtige. Wenn sie klein sind lesen sie „Harry Potter“, wenn sie größer sind „Herr der Ringe“ und wenn sie erwachsen sind lesen sie den Roman von Alfred Kubin.

3. Man darf Ihnen sicherlich noch gratulieren: im Juni 2012 erhielten Sie den ECHO als „Jazz–Sänger des Jahres national“ für Ihr Chanson-Album „In Paris“. Deshalb die Frage an Sie, wie viel Jazz steckt eigentlich in der Kunst, gibt es Gemeinsamkeiten?

Jazz wird immer als ein musikalischer Gattungsbegriff ausgelegt. Es ist hierbei jedoch zu erwähnen, dass dies eigentlich nur ein Marketingbegriff ist. Die erste Jazzplatte wurde offiziell 1917 veröffentlicht. Das heißt im Rückschluss jedoch nicht, dass dies die erste Platte mit dieser Art von Musik war. Es gibt immer einen Vorläufer, niemand hat einen Musikstil auf Knopfdruck erfunden. Aus diesem Grund kann man keine wirklich klare Zäsur in der Jazzmusik, wie auch in den anderen Musikrichtungen, ziehen. Genau dieser Aspekt ist es, den der Jazz mit der Kunst gemeinsam hat. In der Ausstellung „Schwarze Romantik“ wird diese nicht klar definierbare Zäsur, also quasi Nicht-Zäsur, mehr als deutlich. Wenn sie überlegen, dass sie in der Ausstellung einen alten Horrorfilm mit Boris Karloff sehen können, wird offensichtlich, dass dieses ganze Imago, was da gepflegt wird, sowie die zahlreichen Symbole, die aus den Bildern sprechen, auch immer ein Verweis auf Vorangegangenes darstellen. Auch Magritte und Kubin berufen sich auf Vorläufer. Genauso wie Goya – auch er wird das Malen nicht aus der Luft genommen haben und nicht der Erste gewesen sein, der einen schrecklich zugerichteten Leichnam dargestellt hat.
Ich glaube, dies ist ein Phänomen, welches der Kultur eigen ist. Ich bin der Meinung, dass es ganz wenige Künstler gibt, die aus dem nichts heraus einen Neuanfang gemacht haben. Auch diejenigen Künstler, bei denen angenommen wurde, sie hätten etwas gänzlich Neuartiges erschaffen, werden irgendwann von der Kunstgeschichte oder der Musikwissenschaft dahingehend entromantisiert, dass Wissenschaftler Bezüge zu anderen Zeitgenossen oder Vorreitern nachweisen können.

4. Sie sind Honorarprofessor an der Musikhochschule in Münster und lehren dort die Geschichte der Popularmusik. Wie gefällt Ihnen diese Tätigkeit?   

Dies ist das zweite Semester, in dem ich eine gewisse Anzahl von Vorlesungen an der Musikhochschule in Münster halte. Letztes Semester habe ich die Geschichte des Vorjazz beleuchtet, angefangen mit der Eröffnung des Sklavenhandels durch die Portugiesen. In diesem Semester werde ich den Schwerpunkt auf Paul Abraham legen, einen weitgehend in Vergessenheit geratener Operettenkomponisten des 20. Jahrhunderts.

 5. Man spricht ja von dem „Superstar“ in der Musik. Gibt es für Sie einen „Superstar“ in der Kunst?

Nein. Das ist genau das, was ich immer versuche zu vermeiden. Ich habe auch keinen wirklichen Lieblingsmusiker. Bei mir sind die Lieblinge auch zu sehr abhängig von Jahreszeiten und Biokurve.
In der Literatur muss ich zugeben, da habe ich einen Lieblingsautor: Arno Schmidt. Aber auch hierbei gibt es Phasen, in denen man sich dem Mann überhaupt nicht widmet. Ich bin als Kunstfreund ein reiner Genießer und Autodidakt in Bezug auf die optisch wahrnehmbaren Künste. Zu deutsch: Ich habe keine Ahnung.