Hans Thomas „Bad Painting“
Absicht oder Unvermögen?
Die Geister des langen 19. Jahrhunderts scheiden sich an dieser Frage: „Kann er’s nicht besser? Oder: Will und braucht er’s nicht besser zu machen?“. Die Rede ist von Hans Thoma (1839–1924), „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“, wie ihn 1909 "Meyers Großes Konversations-Lexikon" betitelte. Sein heterogenes Oeuvre ist momentan im Städel Museum zu sehen.
Paula Schwerdtfeger | 26.07.2013
Ein bockiger Ritter und sein mutloses Pferd werden vom Rosa der süßen Erika umgarnt. Derselbe Farbton, versetzt mit hellem Blau und Gelb, findet sich ebenso in den Flügeln der dicklichen Kinder wieder, die auf luftigen Wolken toben. Die haarsträubenden Verzeichnungen der Umrisslinien werden von den knorrig verklebten Farbschichten nicht mal kaschiert. Geköpfte Wundervögel, manierierte Gesten manischer Götter und unelegante Meerwesen: Ist Thoma gleich Trash?
Was veranlasste den Schöpfer feinmalerischer Werke wie „Der heilige Christopherus“ oder des „Bildnis Prinz Friedrich Karl von Hessen“ dazu, so einfache, teils fehlerhafte Darstellungen nicht nur herzustellen, sondern auch noch zu verkaufen? Kann die dick aufgetragene Naivität, die kitschig anmutende Lieblichkeit Absicht sein? Kann Thoma sie bewusst als Stilmittel eingesetzt haben? Und ob.

Hans Thoma (1839-1924); Bildnis Prinz Friedrich Karl von Hessen, 1892; Öl auf Holz; Städel Museum, Frankfurt am Main.
Das Ringen um Ausdruck
Thomas zeitgenössischen Verehrer fanden eine vortreffliche Erklärung für die Skurrilität seiner Bildwelt, die sich sanft in den Zeitgeist einfügte: „[U]nschöne oder sagen wir besser absonderliche“ Gestalten seien, im Vergleich zu den altdeutschen Meistern, „Eigentümlichkeiten der auf Charakteristik, Ausdruck oder Humor ausgehenden Wesensseite der deutschen Kunst überhaupt“, so Henry Thode, Städel-Direktor von 1889 bis 1891, in “Thoma, des Meisters Gemälde“ (1909, S. LIV). Auch seine Landschaftsbilder mit den vielleicht nicht ganz richtig gezeichneten menschlichen Gestalten entsprächen dem deutschen Volkscharakter. Im Gegensatz zum Impressionismus, der im L’art pour L’art allein der technischen Virtuosität fröne, sei Thomas echtes Ringen um Ausdruck typisch für ein vermeintlich spezifisches Deutschtum.
Wunder soll man nicht deuten!
Die wahrhaftig empfundene Schönheit der heimatlichen Natur, die sich in Thomas Bildern spiegle und träumerisch angereichert werde, könne der Betrachter laut Thode nicht rational erschließen, sondern nur mit Hilfe der gleichsam in ihm angelegten Volksseele nachfühlen. So führe der Versuch eines intellektuellen Zugangs zu den Bildwesen Thomas nicht weiter: „Was bedeutet das? Ich weiß es nicht, und Thoma weiß es vielleicht auch nicht. Es ist eben ein Meerwunder; und Wunder soll man nicht deuten wollen!“, erläutert Cornelius Gurlitt einleuchtend. So wurden die Fähigkeit zum fantasievollen Überhöhen, die tief empfundene Naturverbundenheit und sogar die Ungeschicklichkeit der zeichnerischen Wiedergabe zu den herausragenden Eigenschaften der Nationalität des Künstlers ernannt.
Rumpelkammer und Wunderspiegel
Heimatlich, rührselig, naiv – die positive Interpretation dieser Charakteristika brachte Hans Thomas Kritiker auf die Palme! „[R]ührte er nicht an dieses Gefühl aus der Rumpelkammer des lieben Deutschtums, würde man kaum auf ihn achten“, versuchte der Kunstkritiker Julius Meier-Graefe im Jahr 1904 das unhinterfragte Bild vom „Jungen aus dem Schwarzwald“ zu brechen. Unbeirrt dessen zeichnete Thoma dieses Bild in seiner anekdotenreichen Autobiographie „Im Herbste des Lebens“ von 1909 weiter: Wenn er die Wiesen seiner Heimat als Kind erkundet habe, war sein sehnlichster Wunsch ein Wunderspiegel, mit dessen Hilfe er die Schönheit der Natur um ihn herum direkt festhalten könne. Autodidaktisch habe er sich anhand der Figuren auf Spielkarten und Malereien auf Bauernmöbeln das Zeichnen beigebracht, um endlich die von ihm empfundene Wesenhaftigkeit seiner Umgebung wiedergeben zu können.

Hans Thoma (1839-1924); Erika und sitzender Ritter, 1894; Pinsel in Schwarz über Bleistift, Aquarell und Spuren von Pudergold auf Velin; Städel Museum, Frankfurt am Main.
Die reine Absicht des Genies
Die Reinheit, die in dieser vermeintlich kindlichen Erfahrung liegt, spiegelt sich in der offensiven Naivität der Bildgestaltung wieder: unkritisch, direkt, ohne doppelten Boden, entspricht sie dem wagnerschen Ideal des „Reinmenschlichen“. Das Rosa der Erika, das den Ritter umgarnt, ist keusch, in ihm wohnt keine sinnliche Verführungskunst. Auch die vielerorts erscheinenden Putten sind reinen Wesens, von elfischen, düsteren Zügen ungetrübt. Kinder, Helden, Künstler und Genies, so die zeitgenössische Interpretation, hätten die Fähigkeit, das wahrhafte Wesen der Welt zu erkennen. Hier reiht sich Hans Thoma ein, wenn er sich zum naiv-kindlichen Bauernsohn stilisiert. Was als unkünstlerische Geste daherkommt ist die künstlerische Geste schlechthin.
Die Anhänger des Meisters, die Thomaner, nehmen die bewusst vorgetragene Naivität dankend an. Durch die Wertung als Charakteristikum der deutschen Volksseele wird sie zum Gegenmodell der künstlerisch-technischen Virtuosität. Thoma kann also anders – es wäre aber nicht halb so spannend.
Die Autorin Paula Schwerdtfeger ist inzwischen Trash-Thomaner! Die absurden Wesen lassen sie einfach nicht mehr los …
Kommentare (7)
Der Mann war auf jeden Fall ein großer Künstler. Viele Bilder sprechen für sich.
Hallo Alexander,
wir freuen uns, wenn die Gemälde von Hans Thoma Dich überzeugen. Aber auch kritische Anmerkungen und Diskussionspunkte sind auf dem Städel Blog immer willkommen. Deswegen sind wir gespannt auf weitere Kommentare!
Viele Grüße aus dem Städel
Silke Janßen
Peer nach dem Duell, nur die Erika ist stark verjüngt
Hallo Peter,
eine schöne These, allerdings wird Hans Thoma das aktuell viel diskutierte TV-Duell wohl noch nicht vor Augen gehabt haben. Oder? Wer könnte dann das Pferd sein?
Viele Grüße aus dem Städel
Silke Janßen
Eine interessante Sichtweise – das Imperfekte als das Lebensnahe, die Perfektion also unkünstlerisch…
Spannend!
Und nach dem Durchdenken: sind nicht die Putti und das Ritterbild lebendigere Kunst als der glatte Prinz…?
Hallo Herr Bieler-Wendt,
wir freuen uns, wenn Sie beim Lesen des Textes einen anderen Blickwinkel auf das Werk Hans Thomas erhalten haben.
Mit besten Grüßen
Silke Janßen
Der Kontakt zu etwas, das über fotographische Wiedergabe hinaus geht, eine strukturelle Gestaltung unabhängig von fotographischer Richtigkeit ist doch sowieso Merkmal von Kunst.
Man muss sehr aufpassen, dass man die linke politische Einstellung nicht mit einem künstlerischen Maßstab verwechselt.
Thoma fühlte Dinge, die Linke nicht fühlen. Wenn er sich darüber hinaus zu vermarkten wusste, unterscheidet ihn das nicht von Dürer, und wenn er beim Publikum ankommende Effekte bemerkte und danach bewusst einsetzte unterscheidet ihn das nicht von Haydn.