Die Rückseiten von Gemälden
Hintersinnig
In der Altmeister-Galerie ist zurzeit zu sehen, was sonst eher verborgen bleibt: die Rückseite von Gemälden. Die Sonderpräsentation „Vice Versa“ gewährt in zwei Kabinetträumen nicht nur einen exklusiven Blick, sondern erklärt auch, welche Erkenntnisse die Kehrseiten der Malerei für uns bereithalten.
Fabian Wolf | 30.07.2015
In der derzeit zu sehenden Kabinettpräsentation „Vice Versa. Kehrseiten der Malerei“ erfährt der Besucher anhand einer Auswahl von Gemälden des 14. bis 18. Jahrhunderts unter anderem, wie sich Restaurierungen vergangener Zeiten auf den Rückseiten ablesen lassen oder was Inschriften erzählen. Aber auch, wie das Bild eigentlich in den Rahmen kommt, – denn dies ist vielschichtiger, als vielleicht zunächst erwartet: Bis weit ins 16. Jahrhundert hinein wurde meistens auf Holz gemalt, später setzte sich Leinwand als Bildträger durch. Egal welches der Medien verwendet wurde, heute werden beide in der Regel in einen abgestuften Holzrahmen gelegt und durch von hinten angeschraubte Metallplättchen gehalten. Holztafeln des Spätmittelalters waren jedoch ursprünglich durch eine Nut-Feder-Konstruktion fest mit dem Rahmen verbunden.

Hugo van der Goes‘ herausnehmbares Marientäfelchen: Rahmen und Bildfläche sind aus einem Stück Eichenholz geschnitzt. Foto: Städel Museu
Ebenfalls war es möglich, dass Rahmen und Bild, wie im Fall der Marientafel von Hugo van der Goes (um 1440–1482) aus dem Jahr 1479, aus einem Stück gearbeitet wurden. Da Profilrahmen und Wasserschlag Teil der Tafel sind, musste die vertieft liegende Fläche für das Bild sorgfältig herausgeschnitzt werden. Besonders an diesem Bild aus der Städel Sammlung ist, dass die Besitzer etwa zehn Jahre nach Fertigstellung einen anderen Künstler beauftragten, das Marienbild zu einem kleinen Klappaltar zu erweitern. Die plastisch gearbeiteten Wappenschilde dienen seitdem als Halterung für die Mitteltafel, die zur näheren Betrachtung – auch heute noch – aus dem Rahmen genommen werden kann.
Galeriebilder, die eigentlich keine sind…
Bei anderen Bildern lässt sich auf der Rückseite ablesen, dass sie ursprünglich nicht an der Wand hingen, sondern vermutlich erst Laufe des 19. Jahrhunderts zur „Flachware“ umgearbeitet wurden. Recht offensichtlich ist dies etwa bei einer Kreuzigungstafel aus dem Umkreis eines Dürer-Schülers von 1510/20. Die Tafel bildete damals ursprünglich den Flügel eines Klappaltars. Das bedeutet, dass die heute zum Teil bis auf das Holz abgearbeitete Rückseite, die reich geschmückte Innenseite eines Altarflügels war. Mithilfe eines vergoldeten Gipsgrunds wurde kostbarer Brokatstoff nachgeahmt; mittig war das Relief einer schreitenden Figur angebracht, von der sich heute leider nur noch Umrisse ausmachen lassen.

Abgearbeitete „Rückseite“, ehemals die Innenseite eines Flügelaltars mit Goldbrokat-Imitat und schreitender Relief-Figur. Foto: Städel Museum
Bei den Tafeln eines Sieneser Meisters des frühen 15. Jahrhunderts muss man schon etwas genauer hinschauen, um den Sachverhalt zu verstehen: Auf der Rückseite sind nicht nur die typischen Löcher des Holzwurms zu sehen, sondern auch seine horizontal verlaufenden Fraßgänge. Da sich der Wurm aber nicht an der Oberfläche, sondern im Innern des Holzes durchfrisst, kann es sich nur um eine nachträgliche Dünnung der Bretter handeln. Beim rückseitigen Abtragen des Holzes mithilfe eines halbrunden Schrupp-Hobels – die Bearbeitungsspuren sind noch deutlich zu erkennen – wurden die Fraßgänge also erst freigelegt. Thema und Format lassen zweifellos auf Cassone-Bilder schließen, die eine meist aus Anlass einer Hochzeit gefertigte Truhe zierten. Zu einem uns unbekannten Zeitpunkt nahm man sie aus der Außenwand der Truhe heraus und sägte sie für ihre Neuverwendung als Galeriebilder zurecht: Aus der dicken Vertäfelung einer Truhe wurden gerahmte Wandbilder.

Gedünnte Cassone-Bilder eines Sieneser Meisters (um 1430): zu sehen sind die horizontal verlaufenden Bearbeitungsspuren eines Schrupp-Hobels sowie die freigelegten Fraßgänge des Holzwurms. Foto: Städel Museum

Links die Rückseite einer bemalten Kupferplatte, rechts die Vorder- und Rückseite der Tafeln von Ignaz Unterberger (um 1775/90): auf Mamor gemalte mythologische Themen mit rückseitig eingelegter Schieferplatte. Foto: Städel Museum
Ungewöhnliche Malgründe
Oft ist den Vorderseiten nicht anzusehen, dass auch recht ungewöhnliche Materialien als Bildträger verwendet wurden. Kupfer zählt dabei noch zu den üblichen Materialien: Anders als Holz oder Leinwand verzieht es sich nicht und reflektiert die Ölfarben gut. Als die Herstellungsverfahren von Kupferplatten weit genug ausgereift waren, kamen diese als Malgrund in Mode und sind in den Jahrzehnten um 1600 relativ häufig anzutreffen. Eher ungewöhnlich ist hingegen, dass ein Landschaftsbild von 1614 auf die Rückseite einer Spielkarte des 15. Jahrhunderts gemalt worden ist – auch dies ist in der Präsentation zu sehen. Ebenso selten sind bemalte Schiefer- und Marmortafeln – allesamt in der Sonderschau vertreten. So benutzte der Tiroler Maler Ignaz Unterberger (1742/1748–1797) für seine beiden um 1775/90 gefertigten mythologischen Bilder beispielsweise feinsten Weißmarmor. Der Clou besteht darin, dass er mit der Malerei nicht nur Marmor imitierte, sondern auch den steinernen Malgrund durchscheinen ließ und nur mittels dünner Farbschichten schattierte.

Doppelporträt Johann und Margarete Stralenberger von 1526: Der Maler Conrad Faber von Creuznach versah die Rückseite des Männerbildnisses mit Wappen, Helmzier und Inschriften. Foto: Städel Museum
Die Rückseite als Archiv des Bildes
Bei vielen Porträts ist der Name des Dargestellten auf der Rückseite notiert, oft ist die Rückseite aber auch aufwendig mit Wappen, Inschriften und Künstlermonogramm bemalt. Darüber hinaus können Gemälderückseiten manchmal fast die gesamte, wechselvolle Geschichte eines Werkes preisgeben: Inschriften, Klebezettel und Etiketten bilden zusammen mit Spuren restauratorischer Eingriffe ein wahrhaftes „Archiv des Bildes“. Das lässt sich an keinem Beispiel so gut zeigen wie bei Jan van Scorels (1492–1562) um 1530 entstandenen Bildnisses eines Mannes. Der Klebezettel an der oberen rechten Ecke gibt an, dass 1849 der Firnis, also der klare Schutzanstrich, abgenommen wurde; mittig informiert eine aufgeklebte Visitenkarte über die Vorbesitzerin und darunter ist auch die alte, inzwischen fälschliche Zuschreibung des Werks an den Künstler Quentin Massys (1466–1530) dokumentiert. Es zeigt sich also: Betrachtet man die Sache mal aus einer anderen Perspektive, lassen sich viele Fragen zum Zustand, zur Provenienz und Zuschreibungsgeschichte mitunter direkt beantworten. Auch wenn wir die Antworten nicht immer gleich auf dem Silbertablett serviert bekommen: Ein Blick auf die Rückseite lohnt sich in jedem Fall.

Rückseite des Männerporträts von Jan van Scorel (um 1530): Klebezettel und Visitenkarte geben umfangreich Auskunft. Foto: Städel Museum
Der Autor Fabian Wolf las als Kind gerne „Die drei ???“ und Sherlock Holmes. Heute ist er wissenschaftlicher Volontär in der Altmeister-Abteilung des Städel und betrachtet mit detektivischer Neugier alte Gemälde – von vorne wie von hinten.
Die Sonderpräsentation „Vice Versa. Kehrseiten der Malerei“ ist im Sammlungsbereich der Alten Meister des Städel zu sehen.
Kommentare (13)
Liebes Städel-Team,
Ihre Artikel sind immer wieder sehr interessant für mich. Weiter so.
Ich lese sie mit Vergnügen und lerne immer wieder etwas dazu.
Danke.
Mit freundlichem Gruß
Elke Stork
Liebe Frau Stork,
haben Sie herzlichen Dank für das Lob! Das freut uns ungemein und ist ein toller Ansporn für weitere, interessante Artikel.
Mit vielen Städel-Grüßen
Silke Janßen
Ich kann mich nur Frau Stork anschließen. Ich finde es ausgesprochen gut, dass interessierte Menschen in die Arbeit des Städel einbezogen werden. Es erfolgt eine qualifizierte Weiterbildung, auch für die Kunstfreunde, die nicht die Möglichkeit haben, das Städel zu besuchen. Weiter so! Auch ich habe viel Freude an den Artikeln.
Vielen Dank auch für dieses Lob!
Mit herzlichen Grüßen aus dem Städel
Silke Janßen
sehr interessant, besonders „Die Rückseite als Archiv..“ Bei ganz alten Fotografien, insbes. Daguerreotypien, geht man ähnlich vor, auch z.B. wegen der Provinienz. Übrigens gab es gerade eine ähnliche Ausstellung im Schloss Fasanerie bei Fulda.
Lieber Herr Mayer-Wegelin,
vielen Dank für den Hinweis, das ist in der Tat spannend, dass es hier Überschneidungen mit der Vorgehensweise bei alten Fotografien gibt. Und danke auch für den Ausstellungstipp!
Beste Grüße und auf bald einmal wieder
Silke Janßen
Liebe Stadel-Mitarbeiter,
Ihre „Hintergrundinformatonen“ zu den Gemälden zeigen diese einmal buchstäblich aus einer anderen Perspektive. Solche Hinweise könnten mitunter sogar für Schüler interessant sein, um zu erklären, woher man etwas über die Bilder weiß, und sie zum genauen Betrachten der Dinge anregen. Dass das Ganze an Detektivarbeit erinnert, erhöht noch den Reiz!
Mit freundlichen Grüßen
Beate Exner
Liebe Frau Exner,
vielen Dank für Ihren Hinweis! Wir freuen uns natürlich, wenn auch Lehrerinnen und Lehrer die Möglichkeit mit ihren Klassen nutzen, bei einer Führung auch einmal hinter den Rahmen zu blicken. Gerade die (mitunter ganz praktische) Forschung macht einen großen Anteil in der Museumsarbeit aus, sodass hierzu auch Spannendes zur Kunst und ihrer Geschichte erläutert werden kann.
Mit besten Grüßen
Silke Janßen
Toller Artikel und super Austellung!
Ich finde teilweise die Rückseite ist eines der interessantesten Wege um die Geschichte eines Werkes herzuleiten.
Leider gibt es nicht viel Auskunft wenn man ein paar alte Werke daheim hat und die Auktionshäuser möchte mann auch nicht immer fragen…
Ist es bei Kupfergemälden wirklich so das kaum Firniss vorhanden ist und die Bilder teilweise viel besser erhalten wirken als Leinwand Gemälde?
Mit freundlichen Grüßen
Lauritz Krause
Lieber Lauritz Krause,
vielen Dank für Ihre Frage und schön, dass Ihnen Artikel und Ausstellung so gefallen!
Die Malerei auf Kupfertafeln ist meistens besser erhalten, da der kupferne Bildträger bei Luftfeuchtigkeitsschwankungen so gut wie gar nicht „arbeitet“. Leinwand und Holz dehnen sich in solchen Fällen nämlich aus und ziehen sich wieder zusammen, was für die Malschicht Stress bedeutet. Es kommt zu Materialermüdung und Haarrisslinien – das sogenannte Craquelé. Kupfertafeln hingegen weisen in der Regel kein Craquelé auf. Dies alles hat also wenig mit dem Firnis zu tun.
Ich hoffe, hiermit Ihre Frage beantwortet zu haben. Beste Städel-Grüße
Silke Janßen
Liebe Frau Janßen,
Vielen Dank für die nette Antwort!
Leider lese ich diese erst sehr verspätet…:)
Ich sammle hier und da mal alte Gemälde die mir gefallen und wäre sehr interessiert wie alt manche sind da ich das Gefühl habe teilweise recht alte Bilder zu haben.
Mich interessiert dort weniger der materielle Wert sondern eher aus welchen Zeitraum diese ungefähr entspringen.
Gäbe es die Möglichkeit einer einfachen Einschätzung ?
Würde mich wirklich sehr freuen!
Liebe Grüße ins Städel
Lieber Lauritz Krause,
danke für Ihre Anfrage und Ihr Vertrauen in das Städel. Als private Stiftung können wir jedoch aus Kapazitätsgründen keine Sprechstunden anbieten. Für Schätzungen zum Wert eines Werkes wenden Sie sich bitte an den dafür zuständigen Kunsthandel.
Schöne Grüße,
Sarah Omar
Guten Tag, vielen Dank für Ihre ausführliche Schilderung zu der Kennzeichnung der Gemälde! Ein rotes Siegel auf der Rückseite könnte auch eine Fälschung darstellen? Was meinen Sie? Vielen Dank und Gruß, S. H.