Ein historisches Dokument gibt Gewissheit: In Emil Noldes (1867–1956) Pass steht es schwarz auf weiß: „Nationalitet: Dansk, Danois, Danish, Dänisch“.

Ein historisches Dokument gibt Gewissheit: In Emil Noldes (1867–1956) Pass steht es schwarz auf weiß: „Nationalitet: Dansk, Danois, Danish, Dänisch“.

Neben der beachtlichen Vielfalt an Bildmotiven, die uns Emil Nolde (1867–1956) hinterließ, hat uns an der Retrospektive im Städel Museum besonders eins verblüfft: Emil Nolde war dänischer Staatsbürger! Simona: „Nolde – ein Däne? Ich hielt ihn immer für einen der Protagonisten der neueren deutschen Kunstgeschichte.“ Paula: „Dazu war er bekennender Nationalsozialist!“ In der Tat ein irritierender Punkt in der Biografie des Künstlers. Lange Zeit wurde Nolde unhinterfragt als Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft dargestellt – eine Erzählung, mit der die Ausstellung im Städel Museum  gebrochen hatte. Die Nolde-Retrospektive ist nach dem großen Publikumsinteresse im Frankfurter Städel nun noch bis zum 19. Oktober 2014 im Louisiana Museum of Modern Art in Humlebæk in Dänemark zu sehen.

Emil Nolde (1867–1956): Kanal (Kopenhagen), 1902; Öl auf Sackleinen, 65,5 x 83 cm; Nolde Stiftung Seebüll; © Nolde Stiftung Seebüll

Emil Nolde (1867–1956): Kanal (Kopenhagen), 1902; Öl auf Sackleinen, 65,5 x 83 cm; Nolde Stiftung Seebüll; © Nolde Stiftung Seebüll

Nolde, der Däne – Nolde, der Deutsche

In der Betrachtung der Geschichte der norddeutschen Grenzregion löst sich der vermeintliche Widerspruch zwischen Staatsangehörigkeit und Gesinnung auf: Noldes Mutter war Schleswigerin, der Vater Friese. Die Familie gehörte der deutschsprachigen Minderheit Dänemarks in Nordschleswig an. Seit dem Deutsch-Dänischen Krieg stand die Region unter preußischer Verwaltung, bis sie 1920 nach einem Volksentscheid dem Königreich Dänemark zufiel. Auch Noldes damaliger Wohnort Utenwarf wurde dänisch, seither war Nolde also qua Papier Däne. Trotzdem verstand er sich zeitlebens als Deutscher. Als solcher ist er in der Vergangenheit auch vornehmlich rezipiert worden. Das gemeinsame Ziel des Städel Museums und des Louisiana Museum of Modern Art ist es, Nolde nicht als einen Künstler einer bestimmten Nation zu würdigen, sondern mit dieser Retrospektive bewusst die Grenzen einer nationalen Kunstgeschichte zu überschreiten.

Der Maler und sein „Wunderland“

Das Leben im Norden schlug sich nachhaltig in Noldes Kunst nieder. Seine von der See geprägte Heimat bezeichnete er fast poetisch als sein „Wunderland zwischen Meer und Meer“. Dazu gehörte natürlich Dänemark, die Insel Alsen, die Nordküste Jütlands, aber auch Hamburg mit seinem großen Hafen. Mehrere Radierungen aus der Graphischen Sammlung des Städel Museums zeigen qualmende Dampfer, Hafenbecken, Kräne und Landungsbrücken. Es sind wohl die einzigen Werke, in denen der Maler Elemente einer technisierten Welt abbildet. Sonst bannt er strikt jegliche Zeichen von Industrialisierung aus seinem Werk. Die großen landschaftlichen Umwälzungen etwa, die die dänische Regierung im neu gewonnenen Gebiet anstrebte, finden sich nicht in Noldes Bildern wieder.

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Emil Nolde (1867–1956): Hamburg, Landungsbrücke, 1910; Radierung mit Weichgrundätzung auf geripptem Bütten, 313 x 412 mm/443 x 600 mm; Städel Museum; © Nolde Stiftung Seebüll

Die staatlich geplanten, radikalen Veränderungen der Landschaft haben Nolde stark getroffen – trotzdem, oder gerade deswegen, sind sie in seinen Landschaftsbildern nicht dargestellt. Hier teilt der Horizont unberührte Wiesen von unendlichen Himmelsweiten. Fast archaisch wirken die dicken Farbwülste auf der nackten Leinwand. Nirgends ein Strommast, ein Flugzeug oder gar ein Zug. Sein Heimatbegriff bezog sich auf das einfache bäuerliche Leben. Folglich zog es den Künstler im Jahr 1926 auch ins unberührtere deutsche Seebüll. Auf der Suche nach Inspiration und dem eigenen Malstil aber, ist Nolde – auch wenn er das Image eines heimatverbundenen Malers pflegte – häufig und gerne durch die halbe Welt gereist.

Emil Nolde (1867–1956): Mühle am Wasser, 1926, Pinsellithographie, 638 x 801mm/675 x 864 mm, Städel Museum; © Nolde Stiftung Seebüll

Emil Nolde (1867–1956): Mühle am Wasser, 1926, Pinsellithographie, 638 x 801mm/675 x 864 mm, Städel Museum; © Nolde Stiftung Seebüll

Nolde in Kopenhagen

Und auch jetzt reist er noch, gewissermaßen. Denn: Die Frankfurter Nolde-Retrospektive ist nach Dänemark, ins Louisiana Museum of Modern Art in Humlebæk weitergezogen. Anfang des 20. Jahrhunderts blieb Nolde der erhoffte Erfolg im nordischen Nachbarland verwehrt. Immer wieder hielt er sich in Kopenhagen auf – seine Frau Ada hatte er 1901 dort kennengelernt – mietete sich ein Atelier in der Innenstadt und suchte den Austausch mit dortigen Malerkollegen wie Vilhelm Hammershøi (1864–1916) oder Viggo Johansen (1851–1935). Obwohl er fließend Dänisch sprach, fand er keinen Anschluss. In seiner Autobiografie notiert er, in Kopenhagen hätten ihn Trübsinn und Selbstzweifel geplagt. Dazu hatte er offenbar ein Augenleiden und konnte nur schwach sehen. Trotzdem entstanden Werke wie das Gemälde „Kanal (Kopenhagen)“ von 1902 mit Blick auf den vom Öresund gespeisten Kanal in schummrigem Morgenlicht. Es ist kein typischer „Nolde“, wie wir ihn heute kennen. Das Bild zeigt noch eindeutige spätimpressionistische Züge. Der Expressionist Nolde war hier noch nicht geboren. Aber eine Retrospektive zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie auch unbekanntere Kapitel eines Künstlerlebens beleuchtet, sodass auch dieses Werk in der Frankfurter Ausstellung zu sehen war und nun im dänischen Humlebæk ausgestellt ist. Den Dänen war der Maler lange Zeit ein rotes Tuch. Seine offene Sympathie für den Nationalsozialismus behagte dem im Zweiten Weltkrieg deutsch besetzten Land kaum. Auch als Nolde dem Staatlichen Museum in Kopenhagen kurz nach Kriegsende mehrere Bilder vermachte, zögerte man lange, diese anzunehmen. Inzwischen öffnet Dänemark seinem ehemaligen Staatsbürger mit großem Interesse die Tore. Die Retrospektive überzeugt nicht zuletzt durch ihren offenen Umgang mit der Biografie des deutsch-dänischen Grenzgängers.