Fünf Fragen an
Franz Erhard Walther – „Körper, Zeit und Raum ist das Material“
Für das Städel Blog trafen wir uns mit dem Künstler Franz Erhard Walther (*1939) im Metzler-Saal mit Blick auf den Garten. Dort können Besucher noch bis zum 23. November 2014 auf seinen „Schreitsockeln“ und „Standstellen“ neue Perspektiven auf das Museum und seine Umgebung entdecken. An vier Orten im Städel Garten sind die minimalistischen, aus Stahl geformten Bodenelemente, im satten Gras vor dem Museum und auf dem Sandweg entlang des grünen Hügels platziert.
Franz Erhard Walther | 22.09.2014

Ausstellungsansicht der „Schreitsockel“ und „Standstellen“ mit Franz Erhard Walther. Foto: Städel Museum © VG Bild-Kunst, 2014
Die Betrachter werden ganz direkt in Ihrem Werk mit eingebunden. Was erwartet die Frankfurter Besucher im Städel Garten?
Die „Schreitsockel“ und „Standstellen“ sind Arbeiten aus den 1970er Jahren. Diese im Außenbereich des Städel gezeigte Werkgruppe, besteht aus Stücken, auf denen die Personen stehen und Schritte vollziehen können, beides ist möglich. Die Idee dazu hat sich in meiner Arbeit lange vorbereitet. Es sind allerdings zwei verschiedene Werktypen: Die einen nenne ich „Schreitsockel“, die anderen „Standstellen“. Erst wenn Personen darauf stehen und Schritte seitlich vollziehen, werden die Stücke als Sockel definiert und die Akteure können sich bei dem Darauf-Stehen als Skulptur sehen. Das ist das eine Moment. Das andere ist, dass während des Schreitens ein Bezug zur Umgebung aufgenommen wird, es sind Projektionen in den Raum. Und wenn mehrere Personen diese Handlung vollziehen, stehen sie in Bezug zueinander. In dem Vollziehen der Schritte, wann diese gemacht werden oder wie lange man beispielsweise auf den „Standstellen“ steht, artikuliert sich Zeit. Zeit wird zum Bestandteil der Arbeit: Zeit, Körper – also die Körper des Akteurs, der Akteurin – der Raum, der gesehen oder in den räumliche Projektionen hinein gesetzt werden. In ähnlicher Weise, wie ein klassischer Bildhauer Holz, Stein und Metall verwendet, so ist es hier der Körper, die Zeit und der Raum. Das ist das Material, mit dem modelliert wird.
Sie unterscheiden bei Ihren Werken zwischen Handlungsform, also dem Moment, in dem eine Arbeit in einer Ausstellung gezeigt wird und eine Interaktion mit dem Besucher entsteht, und der Lagerform. Dabei sind für Sie die Lagerform und die Handlungsform gleichrangig. Wie können wir uns denn die Lagerform der hier in Frankfurt präsentierten Handlungsformen vorstellen?
Die Lagerform finden Sie beispielsweise auf dem Plakat zur Ausstellung abgebildet, dort sind die Werkstücke gestapelt. Es sind Holzstücke dazwischen beigefügt, damit man sie gut anfassen kann. Diese Form verwende ich seit den 1960er Jahren. Die Idee dahinter ist, dass Stücke mehrere Werkstadien einnehmen können. Eine Werkform ist beispielsweise der Stapel auf dem Tisch, Sockel oder Boden. Darin steckt, dass mit ihnen hantiert wird, sie umgefaltet oder umgelegt werden. Handlung wird so zum Teil der Arbeit. Die mehreren Zustände, die die Arbeiten haben können, legen Nahe, dass auch die Lagerform als Werkform angesehen werden kann. Das hat sich seit Jahrzehnten durch meine Arbeiten gezogen und ist Bestandteil des Werkkonzepts. In der Ausstellungsituation wird die Handlung von den Betrachtern nicht ständig vollzogen, deshalb ist die Lagerform auch wichtig. So kann sich der Betrachter bereits anhand der Lagerform die Handlung vorstellen und projizieren. Das ist natürlich eine andere Handlung, als wenn es physische vollzogen wird. Das Konzept ist, dass auch die Lagerform eine gültige Werkform darstellt. Wenn niemand auf der Arbeit steht, bleibt der Aufbau erhalten, die Raumartikulation wird angedeutet. Wenn die Arbeiten gestapelt sind, handelt es sich jedoch um die Lagerform ohne den Aufbau, aber auch dies bildet eine gültige Werkform.

Franz Erhard Walther, Lager der Schreitsockel und Standstellen, 1975-77. Foto: Erich Gutberlet © Franz Erhard Walther
Sie selbst haben ja eine Zeit lang in Frankfurt studiert. Was ist Ihre eindrücklichste Erinnerung an die Stadt?
Ich hatte vorher in Offenbach an der Werkkunstschule studiert, der heutigen Hochschule für Gestaltung, eine Hochschule für angewandte Kunst. Das habe ich jedoch nicht differenziert, sondern sie ebenso als Kunsthochschule angesehen. Im Laufe des Studiums habe ich dann festgestellt, dass ich künstlerisch etwas anderes wollte, dass mit den Zielen angewandter Kunst nichts zu tun hatte. Mir wurde geraten, an die Städel Schule zu gehen und freie Kunst zu studieren. Ich bin jedoch mit einer völlig falschen Erwartung gekommen: Das, was man damals frei nannte im Verhältnis zu angewandt, war gar nicht frei. In meiner Klasse gab es damals so strenge Vorgaben, denen ich einfach nicht folgen mochte. Sie stimmten mit meiner Vorstellung von Kunst nicht überein. Nun muss man fairerweise sagen, dass gar nicht erwartet wurde, dass man dort mit eigenen Vorstellungen hinkam. Die hatte ich aber nun mal, auch wenn ich gerade 20 Jahre alt war. Und so kollidierten meine Vorstellungen mit denen des Klassenprofessors. Das war von beiden Seiten ein Missverständnis. Ich habe experimentell gearbeitet und der Klassenprofessor sagte dann: „Sie sollen hier keine Kunst machen, sondern erstmal studieren.“ Ich musste dann antworten: „Herr Professor, das ist mein Studium“.
In dieser Zeit an der Städel Schule um 1960, bin ich immer mal wieder rüber gegangen ins Städel Museum, um die alten Freunde zu besuchen, wie ich sie nannte. An einem Tag im Frühjahr bin ich ohne besondere Absicht in einen kleinen Raum, in dem die „Blendung Simsons“ von Rembrandt damals hing, gegangen. Sehr dicht, vermutlich der Größe des Raums geschuldet, stand eine kleine ältere Dame davor. Stillstehend, in Betrachtung des Bildes rührte sie sich nicht. Das war eine merkwürdige Situation. Ich habe nicht mehr das Bild gesehen, sondern den Bezug der Person zu dem Bild. Dies wurde auch dadurch ausgelöst, dass bei dem einzeln hängenden großformatigen Bild die Figuren nahezu Lebensgröße einnahmen. Diese Vorstellung des Bezugs zwischen Person und einem betrachteten Gegenstand blieb in meinem Kopf und hat mich fortan ständig bewegt. Das hat dann auch meine Arbeit an der Schule bestimmt und schließlich komischerweise dazu geführt, dass ich aus der Schule rausgeworfen wurde. Doch dieses Erlebnis, unter anderem, hat mich nie losgelassen und meine künstlerischen Entscheidungen mitbestimmt. In dem Moment, in dem ich Handlung mit meinen ersten Stücken ausführte und ich die Vorstellung entwickelte, diese Stücke wären nun Hände und Körper und würden so zu einem Sockel werden – das war eine völlige Umkehrung von Werkbegriff und Sockel – kam mir wieder dieses Erlebnis ins Gedächtnis.
Es heißt, dass Sie beinahe Marcel Duchamp getroffen hätten, der aber kurz vor dem Treffen verstarb. Was hätten Sie ihn gerne noch gefragt und was haben Sie von ihm trotzdem gelernt?
Eines Tages, Ende September, Anfang Oktober im Jahr 1968 in New York, rief mich ein Herr an, englisch mit sehr starkem französischen Akzent sprechend und einer hellen Stimme. Marcel Duchamp! Er sagte am Telefon, dass er mich gerne kennen lernen würde. Da dachte ich im ersten Moment, jemand möchte einen Witz machen. Wie kann der große Marcel Duchamp, diese Jahrhundertfigur, einen unbekannten Künstler aus Europa kennen oder sehen wollen? Er wollte mich gleich treffen, am nächsten oder übernächsten Tag. Ich hatte jedoch leider keine Zeit. Er erzählte mir dann, er fliege in drei Tagen zu seinem jährlichen Sommerurlaub nach Neuilly-sur-Seine, seinem Heimatort in Frankreich. Ich antwortete: „Ja, kein Problem, dann treffen wir uns gleich danach.“ Und dann ist er in Neuilly gestorben. Aber wissen Sie, das war enorm bewegend für mich. Was hatte ihn bewegt, mich kennen lernen zu wollen? Er hatte bei einem befreundeten Künstler, Fotos von Werkhandlungen meiner Arbeiten gesehen und das hatte ihn neugierig gemacht. Ist das nicht großartig?
An der Hochschule für Bildende Künste Hamburg waren Sie Lehrer von später sehr erfolgreichen Schülern wie Santiago Sierra, Rebecca Horn, Martin Kippenberger oder Jonathan Meese. Das sind alles sehr unterschiedliche Charaktere mit völlig unterschiedlichen Kunstwerken. Gibt es etwas, was Sie jedem mit auf dem Weg gegeben haben oder geben wollten?
Das hat sich mit Sicherheit über die Jahrzehnte gewandelt. Meine erste Schülerin Rebecca Horn interessierte sich für das Handeln mit Werkstücken. Sie hat es dann anders gelöst und sich mit meinen Werkzeichnungen und Werkdiagramme auseinander gesetzt. Kippenberger kam dann zwei Jahre später, er hatte einen ganz anderen Ansatz: Er interessierte sich insbesondere für die Radikalität meines Kunstentwurfs, weil auch er radikal sein wollte. Er meinte zwar, er sei zu spät gekommen für meine Art der Radikalität, aber er müsse ja auch nicht über den Berg rüber klettern, sondern darum herum gehen. Dies erzählte er natürlich immer mit so einer Art leichter Ironie. Santiago Sierra ist hingegen zu mir gekommen, weil er sich mit der Handlung verbinden wollte. Er hat eine soziale Dimension in meinen Arbeiten gesehen, die er für sich verstärkt hat. Bei Jonathan Meese waren es wiederum völlig andere Motive: Er hat sich für die offenen Werkkonzeptionen und die offene Lehre bei mir interessiert. Über die Jahrzehnte waren die Motive also immer andere. Aber die Anziehungskraft meiner Person in der Lehre war ungebrochen, bis zuletzt.
Dabei muss Franz Erhard Walther schmuntzeln und geht in den Garten, um sich die Installation noch einmal genau anzuschauen.
Die Fragen an Franz Erhard Walther stellten Karoline Leibfried und Jannikhe Möller, die beide in der Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Städel tätig sind.
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