Neu im Städel
„Kirchenruine im Winter“ von Carl Hasenpflug
Mitten im Sommer wurde die Neuerwerbung des romantischen Gemäldes „Kirchenruine im Winter“ (1848) von Carl Hasenpflug in der Sammlung Moderne des Städel Museums gehängt. Dieses Werk ist auch bei den derzeitigen Temperaturen eine Einladung dazu, beim Blick auf die winterliche Ruine in sich zu gehen.
Maria Zinser | 06.08.2014
Sogwirkung
Eine unheimliche Anziehungskraft geht von diesem Werk aus. Geschickt setzte Carl Hasenpflug (1802–1858) hier das von Malern der Romantik geschätzte Bogenmotiv ein: Vom dunkel gehaltenen Vordergrund wird der Blick des Betrachters durch den großen Rundbogen ans Licht geführt. Der unberührte Schnee, der trotz des teils bedeckten Himmels eine enorme Helligkeit erzeugt, steht im Kontrast zu dem düsteren Gang. Motivisch nähert sich Hasenpflug deutlich den Dresdner Romantikern um Caspar David Friedrich (1774–1840) an. So tut dieses Werk vor allem eins: Stimmung erzeugen. Denn laut Caspar David Friedrich „ist es doch schon ein großes Verdienst und vielleicht das größte eines Künstlers, geistig anzuregen und in dem Beschauer Gedanken, Gefühle und Empfindungen zu erwecken, und wären sie auch nicht die seinen.“
Architekturmaler
1820 trat der 1802 in Berlin geborene Hasenpflug in die Werkstatt des angesehenen Theater- und Dekorationsmalers Carl Wilhelm Gropius ein. Zu dieser Zeit besuchte er auch die Akademie der Künste. Wirkt sein frühestes erhaltenes Gemälde, „Gendarmenmarkt“ von 1822, noch wie das Werk eines Bühnenmalers, begann er bald vor seinen Motiven in freier Natur Skizzen zu fertigen – eine zu dieser Zeit noch sehr neue Praktik.
Hasenpflug beobachtete sehr genau und gab architektonische Details minutiös wieder. In einem zeitgenössischen Blatt für bildende Künste wurde bemerkt, „dass Hasenpflug als Architekturzeichner von keinem Deutschen übertroffen wird, ist bekannt.“ Seine Gemälde machen die Architektur selbst zum Thema, sind jedoch keine einfachen Kopien der Gebäude. Vielmehr näherte sich Hasenpflug der Architektur aus einer Wertschätzung historischer Baustile heraus und im Dienste der aufblühenden Denkmalpflege an. Der Rückgriff auf den Baustil der Gotik rührt eher von einem nationalstaatlichen Bewusstsein her als von einer religiösen Grundstimmung. So zeigt sein Meisterwerk, „Der Kölner Dom. Idealansicht in antizipierter Vollendung“ von circa 1834 bis 1836, die zu dieser Zeit vernachlässigte Ruine als monumentalen Bau, der auf einem in dieser Form imaginären Domplatz thront und von einem mittelalterlichen Fantasiepanorama eingerahmt wird. Die Staffagefiguren sind frei erfunden und in der Tracht des 16. Jahrhunderts gekleidet.
Exportschlager
In seinem Spätwerk, zu dem auch unsere Neuerwerbung zählt, befasste sich Hasenpflug fast ausschließlich mit winterlichen Kirchen, Kreuzgängen und Klöstern, die er im Gegensatz zu seinem Frühwerk als Ruinen, als Symbole des unaufhaltsamen Verfalls, der Vergänglichkeit und des Verlusts, darstellte. Die starke Linearität seines Stils wurde weicher, deutlich geprägt von der Malweise Carl Friedrich Lessings (1808–1880), dem Hauptvertreter der Düsseldorfer Malerschule, den Hasenpflug in den 1830er Jahren kennengelernt hatte. Besonders die verfallene Klosterruine des Zisterzienserklosters Walkenried, ein bedeutendes Baudenkmal, das auch Friedrich und Schinkel besucht hatten, inspirierte Hasenpflug zu zahlreichen Gemälde-Variationen. Vermitteln seine Darstellungen stets den Eindruck realer Architektur, so experimentierte er doch meist mit verschiedenen Gebäudefragmenten, aus denen er neue Kompositionen schuf. Selbiges gilt für die romanische Liebfrauenkirche und den gotischen Dom Halberstadts, der Wahlheimat Hasenpflugs seit 1828. Der Harz sowie die zahlreichen Kirchen, Klöster und Altstadtgassen boten ihm ein breites Repertoire an Motiven, und er selbst trug zur Beliebtheit Halberstadts als Reiseziel bei. Hier malte Hasenpflug die stimmungsvollen Bilder, die ihn damals zu einem der bekanntesten und meistgeschätzten deutschen Maler im In- und Ausland machten; 1850 stellte er sogar in der Royal Academy in London aus. Vielleicht war es gerade die Möglichkeit zum geistigen Rückzug, die sein Werk in Zeiten der 1848er Revolution und der rapiden Industrialisierung so populär machte.
Maria Zinser, Praktikantin in der Sammlung Kunst der Moderne, wünschte sich bei der intensiven Betrachtung des Bildes sehnlich, dass nicht nur die Stille, sondern auch die Kälte des Schnees erfahrbar würde.
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