Piero Manzoni in seinem Studio in der Via Fiori Oscuri, 1958. Foto: Ennio Vicario

Piero Manzoni in seinem Studio in der Via Fiori Oscuri, 1958. Foto: Ennio Vicario

So kurz sein Leben auch war, das Werk von Piero Manzoni (1933–1963) hatte enorme Auswirkungen auf die Kunst der nachfolgenden Jahrzehnte. Wer Body-Art, Performance, Konzeptkunst und Land Art auf ihre Wurzeln hin untersucht, trifft auf Manzoni als deren Wegbereiter. Wer war dieser Mensch, der stets gut gekleidet im Anzug auftrat, seine Scheiße zum Goldpreis verkaufte und im Alter von 29 Jahren an einem Herzinfarkt starb?

Jugend eines Kunstrebellen

Piero Manzoni, mit vollem Namen Conte Meroni Manzoni di Chiosca e Poggiolo, genoss als Sohn eines Grafen eine aristokratische und katholische Erziehung. Dass der Adelsspross einmal seine eigenen Exkremente zur Kunst erheben würde, war sicherlich nicht im Sinne des Elternhauses. Als Siebzehnjähriger nimmt er privaten Malunterricht, 1951 beginnt er ein Jurastudium an der Mailänder Universität, das er drei Jahre später abbricht. Auch das anschließende Studium der Philosophie beendet er ohne Abschluss; stattdessen reist er viel, zunächst durch Italien und Frankreich. Wesentlich mehr ist über seine Jugendzeit nicht bekannt. Es ist wohl der typische Beginn der Karriere eines Kunstrebellen, der sich weder als Mensch noch als Künstler in eine Schublade stecken lässt: Malerei, Performance, Skulptur und Happening gehören zu den Ausdrucksmitteln, derer sich der Italiener in seiner Schaffensphase zwischen 1955 und 1963 bedient.

Piero Manzoni: Paradoxus Smith, 1957, Öl auf Holz. © VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Piero Manzoni: Paradoxus Smith, 1957, Öl auf Holz.
© VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Das künstlerische Mailand

Begonnen hat Manzoni mit Pinsel und Leinwand. Die ersten Arbeiten des Künstlers zeigen noch einen informellen Bildgrund und eine stark abstrahierte Figürlichkeit. Sein vom Informel geprägtes Frühwerk in Rot-, Blau- und Gelbtönen fällt in die Zeit, in der er in Mailand – das Studium endgültig hinter sich lassend – Kontakt zu Vertretern der Avantgardebewegungen knüpft. Dort, in der Künstlerszene des Brera-Viertels, trifft er ab 1955 auf die  Gruppe der Arte Nucleare um Enrico Baj und Sergio Dangelo, die Gruppe CoBrA um Asger Jorn und auf die „Spatialisten“ um Lucio Fontana. In den Bars und Osterien wie dem Jamaica oder dem Geni’s um die Via Fiori Chiari herum sammelt sich das intellektuelle Mailand zum künstlerischen Austausch. Prägend ist diese Phase für Manzoni nicht allein hinsichtlich seines künstlerischen Ausdrucks. Seine Position verfestigt sich auch theoretisch mit der Formulierung und Unterzeichnung von insgesamt neun Manifesten. In „Per una pittura organica“ (Für eine organische Malerei, 1957) arbeitet er erstmals die sein Werk fortan kennzeichnende Verbindung von Malerei, Alltagsgegenständen und Körperlichkeit heraus.

"Achrome" in der Ausstellung. Foto: Alex Kraus

„Achrome“ in der Ausstellung. Foto: Alex Kraus

Über Yves Klein zum ZERO-Netzwerk

Beeindruckt von Yves Kleins blau-monochromen Arbeiten, denen er 1957 in der Mailänder Galleria Apollinaire begegnet, entstehen noch im selben Jahr seine ersten „Achrome“ – weiße, von Manzoni als „unfarbig“ bezeichnete, mit Gips und Kaolin strukturierte Leinwände. Mit einem Schlag verabschiedet sich Manzoni von allem, was die „genuine“ Malerei ausmacht. Farbe und Linie verschwinden oder werden auf ihren minimalsten Wesenskern reduziert. Bis zu seinem Tod im Jahr 1963 entstehen allein 600 dieser „unfarbig“ weißen Arbeiten, mit denen er sich künstlerisch in das Düsseldorfer ZERO-Netzwerk um Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker einschreibt und zugleich schon mit seinem ersten achromen Bild deren weiß-puristische Farbmalerei an ihr Ende führt: Manzoni malt nicht mit Farbe, sondern mit Gips oder Porzellanerde. Eine paradoxe Farbmalerei ohne Farbe. Mit den „Achromes“ vollzieht Manzoni den Schritt in die Dreidimensionalität – durch das Aufbringen unterschiedlichster Dinge des Alltags wie Brötchen oder Styropor wird seine Malerei körperlich.

Manzonis Suche nach der kleinsten künstlerischen Geste setzt sich schließlich in seiner Werkgruppe der „Linee“ (Linien) fort. Im Frühjahr 1959 beginnt er mit der Arbeit an den über 130 konzeptuellen Arbeiten: auf (bis zu sieben Kilometer) lange Papierstreifen gezeichnete Linien, aufgerollt und in Dosen verpackt. Durch diese Art der Verpackung seiner Kunst entzieht der Künstler letztlich noch die minimalste Geste der Sichtbarkeit.

Manzonis kleinste künstlerische Geste: Piero Manzoni, Linea m 3,54, 1959. © Fondazione Piero Manzoni, Milano, by VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Manzonis kleinste künstlerische Geste: Piero Manzoni, Linea m 3,54, 1959. © Fondazione Piero Manzoni, Milano, by VG Bild-Kunst, Bonn 2013

 „Manzonis internationales Abenteuer beginnt am Steuer seines Fiat Cinquecento“

Seine heutige Bekanntheit verdankt Manzoni vor allem den Werken, in denen er den menschlichen Körper zum Produzenten von Gesten und Spuren macht. Darunter „Fiato d’artista“ (Künstleratem), „Consumazione dell’arte“ (Kunstverzehr), die „Sculture viventi“ (Lebende Skulpturen) und schließlich seine radikalste künstlerische Geste: die in Dosen verpackte „Merda d’artista“ (Künstlerscheiße) aus dem Jahr 1961. Dass im 20. Jahrhundert aus Körpern Kunst wurde, wie es im Titel unserer Ausstellung heißt, ist das Verdienst des jung verstorbenen Künstlers. Sehr früh stand er im Austausch mit den künstlerischen Avantgarden seiner Heimat und bald auch mit Künstlerkreisen in ganz Europa, darunter Frankreich, Deutschland, Belgien und Dänemark. „Manzonis internationales Abenteuer beginnt am Steuer seines Fiat Cinquecento“, so der Manzoni-Kenner Germano Celant. Dieses Netzwerk internationaler Kontakte, das er sich mit Briefen und mit seinem Automobil erschloss und ausdehnte, war sicherlich elementar für die rasche Entwicklung seines Werks. So normal dieser internationale Dialog heute erscheint – in den 50er und 60er Jahren war dies eine „Revolution“, so Otto Piene.