„Piero Manzoni. Als Körper Kunst wurden“
Piero Manzoni gestern und heute
Piero Manzoni wurde nur 29 Jahre alt, hinterließ aber ein ungleich umfangreiches wie weitreichendes Werk. Fünf Jahrzehnte nach seinem Tod zeigen zeitgenössische künstlerische Positionen, wie lebendig und einflussreich sein Schaffen noch heute ist. Als Hommage oder Aneignung beziehen sich andere Künstler auf seine Arbeiten – noch bis Sonntag, den 22. September 2013 können in der Ausstellung „Piero Manzoni. Als Körper Kunst wurden“ einige dieser zeitgenössischen Kommentare zu Manzoni im Städel Museum betrachtet werden.
Simona Hurst | 18.09.2013

Manzoni und die Folgen: In seinem Filmprojekt „Die Besitzer“ interviewt Künstler Bernhard Bazile 49 Sammler, die im Besitz einer „Merda d’artista“ sind.
Was gibt es in der Kunst noch zu sagen? Nichts. „Non c’è nulla da dire: c‘è solo da essere, c’è solo da vivere”. Es bleibt nur zu sein, es bleibt nur zu leben, folgerte Piero Manzoni (1933–1963), der selbst nicht lange zu leben hatte – dessen Werk aber bis heute weiter wirkt und Einfluss nimmt. Zeitgenössische Künstler, die sich in ihren Arbeiten auf Manzoni beziehen, halten den Diskurs über sein Werk ebenso lebendig. In unserer Ausstellung „Piero Manzoni. Als Körper Kunst wurden“ begegnet man deswegen neben den Arbeiten des Italieners auch solchen, die in unterschiedlicher Weise seine „Magischen Sockel“ und „Lebenden Skulpturen“, die „Linee“ und zu guter Letzt auch die mythisch belegte „Künstlerscheiße“ zitieren.
Hommage: „Denk an Manzoni“
Die aktive Teilnahme des Rezipienten ist Bestandteil einiger Werkgruppen Manzonis. So entstehen beispielsweise die „Lebenden Skulpturen“ (1961) erst durch die Beteiligung des Betrachters: Auf Holzsockeln aufgebrachte Filzsohlen weisen ihm die einzunehmende Position. Heute bildet dieser Akt der Partizipation allerdings die Ausnahme, denn Manzonis Arbeiten dürfen im Museum aus restauratorischen Gründen nicht mehr benutzt werden. Man kann diskutieren, ob die Arbeit als Objekt im Museum ihre Funktion verliert oder ob sich lediglich ihre Bedeutung verlagert. Es liegt daher nahe, das Werk einer Aktualisierung zu unterziehen, die das Konzepts Manzonis aufnimmt und das Verbotene wieder erlaubt. Als Auftakt zur Manzoni-Ausstellung reaktiviert der österreichische Künstler Erwin Wurm (*1954) im Foyer des Ausstellungshauses die Rolle des Betrachters. Die Arbeit „Think of Manzoni“ (2013) entwickelte Wurm eigens für die Ausstellung im Städel. Vier Pinsel liegen auf einem Sockel bereit, daneben eine Handlungsanweisung, die den Besucher auffordert, sich das klassische Malwerkzeug zwischen die Zehen zu klemmen. Der Besucher kann so – für die vorgesehene Dauer von einer Minute – zur lebenden Skulptur werden und, an Manzoni denkend, das noch „offene“ Kunstwerk vervollständigen. Im Unterschied zu den „Magischen Sockeln“ mit den Filzsohlen ist aber die Position nicht vom Künstler vorgegeben – liegend, stehend oder auf einem Bein balancierend entstehen hier als Vollendung der Arbeit die unterschiedlichsten Skulpturen.
Manzoni in Endlosstreifen
Sie muten wie das Diagramm seismographischer Schwingungen an: die schier endlosen, mäandernden Linien, die die Malerin und Bildhauerin Leni Hoffmann (*1962) im Jahr 2009 auf 138.000 Exemplaren des Kölner Stadt-Anzeigers realisierte. In einer neunstündigen Aktion ließ sie die vier flüssigen Druckfarben des Offsetverfahrens (cyan, magenta, yellow, key) während des Drucks der Zeitung über die Rollen laufen. Die Arbeit „pizzicato_42“ ist eine Weiterentwicklung und Referenz an Manzonis Werkgruppe der „Linee“, von denen er seit 1959 mehr als 130 Exemplare schuf: Auf bis zu sieben Kilometer lange Papierstreifen zeichnete er Linien, die er dann aufrollte und in Dosen verpackte. Wie damals Manzoni bei seiner 7200 m langen linea, die er in der Druckerei einer dänischen Tageszeitung fertigte, griff Hoffmann mit ihrer CYMK-Linie in die laufende Rotationspresse der Tageszeitung ein. Während der Italiener seine Arbeit aber durch das Verpacken in Dosen der Sichtbarkeit entzog, wodurch das Konzept scheinbar wichtiger wird als seine Gestalt, ist der Künstlerin daran gelegen, das Ergebnis so augenfällig wie möglich zu machen: Die „gezeichnete“ Tageszeitung ging wie gewohnt in den Verkauf. Die Linie platzierte Hoffmann in der rechten Spalte der Seite „Themen des Tages“ sowie in der linken Spalte der Meinungsseite – höher hätte der Aktualisierungsgrad kaum sein können.
Aneignung: Ein Kunstwerk als Readymade
Hat er oder hat er nicht? Um eine Arbeit in der Ausstellung rankt sich ein Mythos, ein Geheimnis, das bis heute nicht gelüftet wurde. Piero Manzonis „Künstlerscheiße“ („Merda d’artista“) aus dem Jahr 1961 provoziert durch ihren Inhalt – 30 Gramm Kot des Künstlers – aber auch durch die Tatsache, dass die „Materialechtheit“ nicht geklärt ist. 1989 erdreistete sich der französische Künstler Bernhard Bazile (*1952), die „Künstlerscheiße“-Dose mit der laufenden Nummer 005 während einer Performance zu öffnen. Die geöffnete Dose stellte er anschließend in der Galerie Roger Pailhas in Marseille aus und präsentierte sie dort unter dem Titel „Boîte ouverte de Piero Manzoni“ als eigenes Kunstwerk. Einem Readymade ähnlich, nutzt Bazile das bereits Vorhandene, um es sich mittels seiner Signatur, die sich in der geöffneten Dose manifestiert, anzueignen. Auf diese Weise unterzog er die „Künstlerscheiße“ einer Neubetrachtung. Klarheit um den wahren Inhalt konnte aber auch die Aktion nicht schaffen: Die in der Dose befindliche Substanz ließ sich mit bloßem Auge nicht identifizieren.
Gleich zweifach hat sich Bazile mit dem Werk Manzonis auseinandergesetzt: In einer zweiten Arbeit, dem Filmprojekt „Die Besitzer“, das ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist, interviewt er 49 Sammler, die im Besitz einer „Merda d’artista“ sind. Im Gespräch befragt er die Personen u.a. zu den Beweggründen ihres Ankaufs – hierbei gehen die Antworten der Sammler weit über die Frage hinaus.
Die Autorin Simona Hurst fragt sich, ob sich eines Tages ein Künstler mittels einer mikrobiologischen Analyse mit der „Merda d’artista“ auseinandersetzen wird.
Kommentare (2)
Hallo Laura,
vielen Dank für den Link und den schönen Beitrag frei nach dem Motto „Ich bin Kunst. Zumindest für einen Moment“.
Herzliche Städel-Grüße
Silke Janßen
1 Trackback
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