In scheinbar natürlicher Pose: Nadar, Die Schriftstellerin George Sand, 1864, Albuminpapier auf Karton, 30,8 x 24,3 cm, Foto: Städel Museum/ARTOTHEK

„Um ein intimes Abbild und nicht bloß ein banales Porträt, das Ergebnis eines schieren Zufalls, hervorzubringen, muss man sich in das Modell hineinversetzen, muss man seine Gedanken und sogar seinen Charakter erfassen“, beschreibt 1856 der französische Fotograf Gaspard-Félix Tournachon alias Nadar (1820–1910) seine Arbeitsweise. Zu dieser gehörte auch, dass er mit seinem Modell so lange plauderte, bis es eine ungezwungene Haltung einnahm – gar nicht mal so einfach. Schließlich musste der Atelierbesucher zur damaligen Zeit mehrere Sekunden bewegungslos vor der Linse verharren. Doch kleine Hilfsmittel waren erlaubt: Möbelstücke, verstellbare Kopfhalter oder Accessoires blieben auf den Fotos meist unsichtbar und verhalfen dem Porträtierten dennoch zu Stillstand.  Entsprach die Komposition schließlich seinen Wünschen, musste der Fotograf die Beleuchtung durch Blenden und Reflexschirme regulieren und die Glasplatte mit der nur kurze Zeit aktiven lichtempfindlichen Emulsion bestreichen. Diese Arbeitsabläufe erforderten einerseits Schnelligkeit, andererseits äußerste Präzision.
Mit der Kommerzialisierung der Porträtfotografie wurde das neue Medium erstmalig einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich, die sich entweder selbst porträtieren ließ oder die Bilder berühmter Zeitgenossen sammelte.

Porträt einer untergegangenen Kultur: Edward S. Curtis, A Point of Interest – Navaho, um 1900, Platinpapier, getont, 27,7 x 38,1 cm, Städel Museum

Dass die Fotokünstler immer auch Chemiker sein mussten, wird vor allem mit den neuen Edeldruckverfahren um 1900 sichtbar. Der US-amerikanische Fotograf Edward Curtis (1868–1952) beispielsweise nutzte in seinem Porträt der Navaho-Indianer den Platindruck, um ein Symbol dieser untergegangenen Kultur zum Ausdruck zu bringen. Nachdem er sein Papier mit Kaliumplatinchlorid überzogen hatte, entwickelte er das belichtete Papier mittels eines Kalium- oder Ammoniumoxalatbades. Der chemische Prozess hinterließ auf dem Lichtbild eine sichtbare Faserung. Das Ergebnis ist ein bräunlich-warmer Farbton, der den Charakter des Bildes völlig bestimmt. Vor allem die Pictorialisten – deren Bestrebung es war die Fotografie als vollwertiges künstlerisches Ausdrucksmittel zu etablieren – nutzten diese Methode, um eine gemäldeähnliche Bildwirkung zu erzielen. Neben langer Haltbarkeit sorgte die aufwendige Abzugsart für eine atmosphärische Veredelung der Darstellung.

Ungeschönte Wiedergabe: Hugo Erfurth, Lovis Corinth, um 1918 (Abzug 1928), Öldruck auf Gelatinepapier, 37,7 x 29,7 cm, Foto: Städel Museum/ARTOTHEK

Mit dem Fortschreiten des 20. Jahrhunderts strebte die Fotografie verstärkt eine nüchterne, sachliche Sprache an. Diesem  Anspruch folgend vertraute der aus Deutschland stammende Fotograf Hugo Erfurth (1874–1948) vollständig auf die Ausdruckskraft des menschlichen Antlitzes und positionierte zum Beispiel den Maler Lovis Corinth (1858–1925) vor einem schlichten Hintergrund. Einen hohen Grad an Detailliertheit erreichte der Fotograf durch den Öldruck. Ebenfalls zum Edeldruckverfahren gehörend, wurde der Bildträger zunächst mit einer Gelatineschicht behandelt und durch eine Dichromatlösung sensibilisiert. Anschließend wurde das Papier im UV-Licht unter einem Halbtonnegativ belichtet. Im warmen Wasser quoll die Gelatine unterschiedlich stark auf, so dass ein Relief entstand, an dem die Ölfarbe nur an den belichteten Stellen haftete, die nicht oder kaum gequollen waren. Die Farbe trug Erfurth mit einem Pinsel oder einer Walze auf, wodurch er Kontraste individuell hervorheben konnte. Das somit entstandene Lichtbild zeigt die ineinander verlaufenden Töne in jeder möglichen Abstufung, also vom tiefsten Schwarz zum hellsten Grau.

Trotz aller fotografischen Innovationen blieb die farbige Gestaltung zunächst der Malerei vorbehalten. Um dieses Manko zu umgehen, kolorierten manche Fotografen ihre Abbildungen nachträglich. So konnten sie ihren Werken nicht nur etwas Malerisches verleihen, sondern auch technische Mängel verdecken. Der Wunsch nach Farbe wurde damit nur unzureichend gestillt. Wie diese nun endlich in die Fotografie kam, erfahrt Ihr im nächsten Teil unseres Blogs.