Der Kult des Künstlers
Thoma Superstar
Kein anderer deutscher Künstler wurde zu Lebzeiten so verehrt wie Hans Thoma (1839–1924). Die aktuelle Ausstellung zu seinem Oeuvre im Städel Museum spürt auch dieser fast kultischen Rezeption nach – nicht umsonst kürte ihn Meyers Konversationslexikon 1909 zum „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“.
Paula Schwerdtfeger | 13.08.2013

Unvorstellbarer Kult: Hans Thoma; Selbstbildnis vor Birkenwald, 1899; Öl auf Leinwand, 94 × 75,5 cm; erworben 1902 als Stiftung von Freunden und Verehrern des Künstlers. Eigentum des Städelschen Museumsvereins e.V.
Das kann kein Zufall sein! Genau wie Hans Thoma auf dem „Selbstbildnis vor Birkenwald“ erscheint der Gegenwartskünstler Markus Lüpertz auf etlichen Porträts: ein dicker Goldring an der schweren Künstlerhand, Spazierstock, der markante Kopf und vor allem: Dieser Bart! So inszenierte sich Lüpertz auf vielen Fotos. Wikipedia, das Konversationslexikon unserer Tage, bezeichnet Lüpertz als einen der „bekanntesten deutschen Künstler der Gegenwart“. In der Öffentlichkeit inszeniere er sich als „exzentrischer Maler, der seinen eigenen Geniekult betreibt“. Übernimmt er bewusst die Insignien Hans Thomas?
Huldigt dem Meister!
Er hätte auf jeden Fall beim Richtigen gefischt. Um Thoma entspann sich seit seinem 60. Geburtstag, also 1899, ein unvorstellbarer Kult. Ehrfürchtig zelebrierte etwa Imanuel Friz den Ritus der Verehrung in seinem Buch „Hans Thoma. Zum Sehen geboren“ aus dem Jahr 1915. Vom Ort der künstlerischen Schöpfung, dem Atelier, berichtet er: „Wir spüren, daß wir in Künstlers Landen sind und wir ahnen etwas von der geheimnisvollen Kraft, die die Himmelstochter herabsendet in unsere Erdenwelt. (…) hier stehen wir an der Quelle, aus der Gottes wundersame Gaben der Menschheit zufließen. Was können wir anders tun als dankbar sein?“.

Grüße von Thoma: Festpostkarte zur Erinnerung an die Denkmalsenthüllung und Einweihung der zwei gestifteten Altarbilder am 23. Juni 1912 in Bernau, 1912, Städel Museum, Frankfurt am Main
Zuvor war „dem Meister“ die Ehrenbürgerschaft in Freiburg und Karlsruhe verliehen worden. Er war Direktor an der dortigen Gemäldegalerie und Kunsthochschule, vor der ab 1909 die „Hans-Thoma-Straße“ verlief. In Bernau konnten Thoma-Verehrer das Geburtshaus in Augenschein nehmen, in Karlsruhe die Hans-Thoma-Kapelle besuchen und in Frankfurt Mitglied der Hans-Thoma-Gesellschaft werden. Die Berliner Nationalgalerie veröffentlichte sogar einen eigenen Sammlungsführer speziell zu den Werken des Schwarzwälders. Damit können weder Lüpertz noch Neo Rauch mithalten. Sogar Gerhard Richter muss sich geschlagen geben.
Stilisierung als gottväterlicher Wotan
Gerne übte sich Thoma in der Rolle des Überkünstlers. Schon im Jahr 1878 brachte der Maler sein Selbstporträt im Bild „Christus und Nikodemus“ unter. Nachdem ihm durch sein Frankfurter Umfeld das Werk des Komponisten Richard Wagner näher gebracht wurde, trat nur noch eine Figur auf, mit der sich der Künstler identifizierte: Wotan, der Gottvater, der schöpferische Geist, der die Menschen auf den rechten Pfad führen wird. In der Radierung „Wotan I“ wird die Personalunion deutlich. Auf der Weltscheibe, getragen vom bärtigen Einäugigen, prangt das Monogramm Thomas.

Personalunion Hans Thomas und Wotan auf der Weltscheibe: Hans Thoma: Wotan I, 1913, Städel Museum, Frankfurt am Main
Neben Büchern wie „Die zwischen Zeit und Ewigkeit unsicher flatternde Seele“ wurden immer wieder Sprüche des Malers publiziert. So sprach er: „Die Kunst […] verkündigt das Dasein Gottes, sie ist der Lobesdank, welchen die Seele dem schaffenden Gotte darbringt; (…) die Ahnung der ewigen Schöpferkraft lebt in ihr“. Wer ist Schöpfer, wer Prophet, wer Priester? Hier wird die Rolle des Künstlers in der modernen Gesellschaft deutlich. Das Bedürfnis nach spiritueller, sinnstiftender Erfahrung war auch in der säkularisierten Industrienation nicht erloschen. Vielmehr war es durch den als kalt empfundenen Rationalismus noch verstärkt worden. Doch nicht der christliche Glaube wurde rehabilitiert. Stattdessen avancierte der Künstler zum Träger des Geistigen, dessen Werk andächtig angenommen wird.
Wie der Prophet zum Volke spricht – Die Vermarktung
Wenn der Künstler der Schöpfer geistiger Erlösung ist, so wird der Betrachter durch die kontemplative Versenkung in das Werk seelisch berührt: „Thomas Form ist die gestaltete Eigenart seines Wesens. (…) Indem wir die meisterliche Form in uns aufnehmen, werden wir des gestalteten Seins teilhaftig, werden unendlich beglückt“, so der damalige Direktor der Nationalgalerie Ludwig Justi. Zum Star kann nur werden, wer der Gesellschaft als Projektionsfläche dient. Bereits der letzte Blogartikel „Hans Thomas „Bad Painting“ – Absicht oder Unvermögen?“ zeigte, dass Thoma zur Inkarnation des deutschen Volkskünstlers stilisiert wurde und diese Rolle auch gerne annahm.

Vermarktung seiner Bildfindungen: Die Wanduhr von Hans Thoma und Wilhelm Süs (?), undatiert, Städel Museum, Frankfurt am Main
Über diese Projektion erhielt Thoma eine edle Rechtfertigung für die grenzenlose Vermarktung seiner Bildfindungen: Damit die „meisterliche Form“ des „urdeutschen Wesens“ ins Volk dringen kann, wählte Thoma auch massentaugliche Mittel. Zur modernen Industriegesellschaft gehört eben auch, dass jeder mit einem Starkult Geld verdienen will. Malfibeln mit seinen Motiven entstanden, er fertigte Kriegspostkarten für den ersten Weltkrieg, Wandmalereien, Kostümentwürfe, ebenso eine bunte Wanduhr aus glänzenden Majolika. Selbst die passenden Zeilen zu seinem Ableben hat der Künstler 1919 selbst gedichtet, oft wurden sie zitiert:
„Ich fahr, weiss nit wohin,
Ob ich nun froh, ob traurig bin,–
Mich deckt das Schneetuch der Vergessenheit,
Ich muss zurück nun in die Ewigkeit.“
Ja Meister, ewig währst du!
Die Vorfreude auf den Sommerurlaub beflügelt die Autorin Paula Schwerdtfeger. Man möge ihr schamloses Pathos verzeihen…
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