Szene 1: „Huis te vraag“

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Rembrandt: „Landschaft mit Straße und Wassergraben“ (um 1652). Vordergründig eine Landschaftsradierung, hat Rembrandt das Bauernhaus subtil belebt. Auf der Veranda genießen seine Bewohner den Schatten an einem warmen Sommertag.

„Memento Mori“ steht mahnend über dem Eingang zum Friedhof, an dem vor fast 500 Jahren das Gasthaus "Huis te vraag" zu finden war.

„Memento Mori“ steht mahnend über dem Eingang zum Friedhof, an dem vor fast 500 Jahren das Gasthaus „Huis te vraag“ zu finden war.

Der Kaltnadelstich „Landschaft mit Straße und Wassergraben“ (um 1652) zeigt vermutlich das Landgasthaus „Huis te vraag“ – und bei der Suche mit Google Maps erzielt die Eingabe „huis te vraag“ auch gleich einen Treffer. Was selbst die Satellitenansicht nicht vermuten lässt: das „Huis te vraag“ ist seit ungefähr 200 Jahren ein Friedhof. Das erzählt die Friedhofsbewahrerin Willemijn van der Heijden. Zusammen mit ihrem Mann Leon hat sie vor 20 Jahren angefangen, den vergessenen Friedhof, der seit 1967 nicht mehr in Benutzung ist, vom Unkraut und Laub der Jahreszeiten zu befreien. Im Laufe der Zeit hat das Künstlerpaar dort einen liebevollen, mit Efeu bewachsenen „secret garden“ entstehen lassen, inmitten der lauten und turbulenten Stadt. Zu Rembrandts Zeit hatte sich die Stadt noch nicht so weit ausgebreitet und das „Huis te vraag“ lag an einem sandigen Weg zwischen den Städten Haarlem und Amsterdam. Viele Reisende kehrten ins damalige Landgasthaus ein, um zu fragen: „Wie weit ist es noch bis nach Amsterdam?“ „Wie weit ist es noch bis nach Haarlem?“ Diese Fragen verliehen letztlich dem Gasthaus seinen Namen – „Haus zur Frage“.

Szene 2: „Die drei Hütten“

Die drei Hütten“ (1650): Rembrandts Landschaften zeigen nicht selten kleine, verfallene und verwitterte Bauernhäuschen rund um Amsterdam. Von keiner anderen ländlichen Umgebung in den Niederlanden existiert eine so ausführliche Dokumentation der bäuerlichen Architektur.

Die drei Hütten“ (1650): Rembrandts Landschaften zeigen nicht selten kleine, verfallene und verwitterte Bauernhäuschen rund um Amsterdam. Von keiner anderen ländlichen Umgebung in den Niederlanden existiert eine so ausführliche Dokumentation der bäuerlichen Architektur.

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Aus Holz wurde roter Backstein, statt Reet bedecken nun Ziegel ihre Dächer und die kleinen holzgeschnitzten Verzierungen auf dem Dach, genannt makelaar, wurden umfunktioniert zu Lastenzügen.

Der sandige Weg stadteinwärts muss Rembrandt in die heutige Schinkel-Buurt geführt haben. Gruppen von zwei bis drei Holzhäusern mit Reetdach und einige Bäume säumten den Wegesrand. Fast 500 Jahre später ist diese Gegend  ein dichtbesiedelter Stadtteil im Südwesten von Amsterdam. Die Bäume, die Rembrandts kleine, nahezu identische Häuschen überragen, sind einem nicht weiter auffälligen Schilderwald gewichen. Der verlassene Sandweg ist asphaltiert, hat durchgezogene und gestrichelte Linien, Straßenbahnschienen und einen Fahrradweg. Überragend scheint hier nicht mehr die Natur zu sein, sondern der dröhnende Verkehr. So rattert die Straßenbahn an uns vorbei, als wir dieses Foto machen. Dennoch: irgendwie scheint es so, als hätten sich die drei kleinen Holzhütten nicht beirren lassen und wären einfach mit der Zeit gegangen. Aus Holz wurde roter Backstein, statt Reet bedecken nun Ziegel ihre Dächer und die kleinen holzgeschnitzten Verzierungen auf dem Dach, genannt makelaar, wurden umfunktioniert zu Lastenzügen.

Szene 3: Die Windmühle 

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Am Fuße der Mühle scheint eine Gestalt die Flügel der aus dem Wind gedrehten Mühle zusammenzurollen. Durch Experimentieren mit der Platte gelang es Rembrandt, graue, atmosphärische Tonwerte auf der Mühle und im Himmel zu erzeugen.

Wo früher einmal die „Kleine Stink-Mühle“ der Gerber stand, wird nun gebaut.

Wo früher einmal die „Kleine Stink-Mühle“ der Gerber stand, wird nun gebaut.

Ebenfalls einen Lastenzug, von etwas größerer Dimension, finden wir an dem Ort, an dem Rembrandt die „Kleine Stink-Mühle“ (1641) skizzierte, nämlich am Stadtwall von Amsterdam. 1617 gebaut, leistete sie bis 1796 ihren Dienst als Getreidemühle. Ihr Name erklärt sich aus ihrer Nutzung durch die Zunft der Gerber. Der Krahn auf der Baustelle, wie wir ihn heute vorfinden, steht auf eigenartige Weise dem pittoreskem Verfall, den Rembrandt mit der Darstellung der Windmühle dokumentieren wollte, entgegen. Auch an der dritten Station auf den Spuren Rembrandts zeigt sich: nichts ist mehr so, wie es mal war. Natürlich, aus bäuerlichen Umgebungen werden im Zuge der Industrialisierung städtische Landschaften, was erwarten wir also. Doch auch wenn wir zusammen mit Rembrandt losgezogen wären, hätten wir die Orte nicht so vorgefunden, wie er sie seinem Betrachter präsentiert. Denn Rembrandt zielte mit seinen Landschaftsdarstellungen nicht darauf ab, topografisch bestimmbare Orte wiederzugeben, sondern er komponierte bewusst seine Motive. Und wie es Boudewijn Bakker in seinem Aufsatz „Natur oder Kunst? Rembrandts Ästhetik und die niederländische Tradition“ herausarbeitet, so sind Rembrandts Landschaften Allegorien für die Schöpfung, in denen Mensch und Natur in Harmonie zu existieren scheinen. Von Harmonie zwischen Mensch und Natur kann an den Orten, die Rembrandt zwischen 1640 und 1650 besuchte, inzwischen nicht mehr die Rede sein. Vielmehr bilden die Fotografien von heute eine urbane Landschaft ab, in der wiederum der einzelne Mensch kaum erkennbar ist. Genau in dieser Winzigkeit der Menschen steckt dann aber doch wieder eine Parallele zu den Landschaftsradierungen von Rembrandt.