Frühe Fotografie im Städel
Vom Lehrbild zum Kunstwerk
Ob skurrile Genreaufnahmen, eindrucksvolle Künstlerporträts, detaillierte Architekturbilder oder bezaubernde Landschaften – Fotografie im 19. Jahrhundert hat viele Gesichter. Die Abteilung Kunst der Moderne widmet diesem spannenden Thema ein eigenes Kabinett im Städel Museum und zeigt Euch damit erstmalig ausgewählte Aufnahmen aus dem Archiv der ehemaligen Lehrsammlung des Städelschen Kunstinstituts.
Kristina Lemke | 02.05.2013

Neu in Szene gesetzt: Frühe Fotografien aus dem Archiv des Städelschen Kunstinstituts im nun eigenen Kabinett. Foto: Städel Museum
War es nur Gemälden, Zeichnungen und Stichen vorbehalten, ein Bild von den Erscheinungen der Welt festzuhalten, sollte sich dies ab Mitte des 19. Jahrhunderts schlagartig ändern: „Fotografie“ hieß die Zauberformel. Das neue Medium konnte die Natur in all ihren Facetten wiedergeben. Fasziniert von den Möglichkeiten wechselten zahlreiche Künstler zum Fotografenberuf. Pinsel und Farbpalette wurden gegen Kamera und Chemikalien getauscht. Die Sehgewohnheiten blieben aber erhalten, erinnern die Kompositionen der Fotografien doch sehr an den klassischen Bildaufbau von Gemälden.

Bildhunger nach fernen Ländern: An „Kairo: Sultan Aschraff, Grab des Kalifen“ (ca. 1860) von Wilhelm Hammerschmidt konnten sich die Studenten malerisch erproben. Foto: Städel Museum
Lernmaterial für angehende Künstler
Die Beziehung zwischen Fotografie und Malerei war eine wechselseitige. Diente die Malerei als Vorlage für die Fotografie, so ließ sich dasselbe ebenso umgekehrt beobachten. Im Städelschen Kunstinstitut wurden ab 1845 Fotografien ausgestellt und auch gesammelt. Der damalige Inspektor Johann David Passavant (1787–1861) erkannte früh den Nutzen des neuen Mediums und legte ein Archiv für die Lehrsammlung der Städelschen Kunstschule und des Instituts an. Zunächst in die Graphische Sammlung integriert, dienten die Lichtbilder vordergründig als Lernmaterial für angehende Künstler. Diese konnten beim Kopieren der Vorlagen beispielsweise trainieren, wie man ein Gemälde proportioniert. War das menschliche Auge nicht in der Lage dazu, so half die Fotografie bei der angemessenen Darstellung von Licht und Perspektive. Und Fotoagenturen auf der ganzen Welt lieferten Motive, die das Herz begehrte: Von den Kalifengräbern Kairos über den Pont Saint-Bénézet in Avignon bis zum Vulkankrater Solfatara in Pozzuoli – kein Ort war zu weit. Der in Frankfurt geborene Fotograf Giorgio Sommer (1834–1914) gab sowohl Einblicke in die Idylle von Stadt und Land als auch in das Leben der einfachen Bevölkerung Italiens. Eine Vorstellung vom exotischen Orient vermittelte der dorthin ausgewanderte Wilhelm Hammerschmidt in seinen frühen Aufnahmen, die in den 1860er Jahren entstanden. Werke wie diese fanden durch den aufkommenden Tourismus nicht nur bei den Urlaubern reißenden Absatz, sondern auch in den Bildungsinstituten.

Heute längst Kunst: Bizarr und faszinierend zugleich erscheint Giorgio Sommers „Entlausung“ (ca. 1870). Foto: Städel Museum
Gewandeltes Kunstverständnis
Meist wurde der hauchdünne Abzug an der Hochschule auf einen Karton geklebt. Im handlichen Format stellte der Archivar die Bilder in Mappen zusammen, die nach Stadt und Motiv geordnet wurden. Die Fotografie war mehr Hilfsmittel als Kunstwerk. Auch wenn sich zahlreiche Zeitgenossen um eine adäquate Wahrnehmung bemühten, wurde sie erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als eigenständige Kunstgattung akzeptiert. Im Laufe der Zeit kam am Kunstinstitut ein beträchtlicher Bilderschatz zusammen: Rund 4.500 Aufnahmen von über 115 Fotografen – darunter massenhaft Kunstreproduktionen berühmter Gemälde und Skulpturen – sind bis heute gezählt. Eine Auswahl der herausragendsten Motive könnt Ihr ab sofort in der Sammlungspräsentation im Gartenflügel des Städel bewundern.
Die Autorin Kristina Lemke arbeitet in der Abteilung Kunst der Moderne und war an der Organisation der Fotopräsentation beteiligt. Nach dem Durchforsten der unzähligen schwarz-weißen Aufnahmen freut sie sich nun auf einen farbenfrohen Frühling.
Kommentare (4)
Das ist sehr lebendig und kenntnisreich geschrieben! Interessant sind einmal die Auswahl der frühen Fotos und dann die Schilderung, zu welchem Zweck diese Fotos schon früh in das Städel bzw. in die Städelsche Kunstschule gelangten.
Hallo lieber Herr Mayer-Wegelin,
vielen Dank für Ihren sehr netten Kommentar. Ich freue mich sehr, dass Ihnen der Artikel und die Hängung der historischen Fotografien gefallen. Auch in Zukunft soll der Sammlungsbereich in der Kunst der Moderne immer wieder um neue Themenaspekte ergänzt werden.
Herzliche Grüße aus dem Städel Museum
Kristina Lemke
Klingt wirklich spannend und macht Lust aufs Anschauen!!
Liebe Janna,
herzlichen Dank für das Lob! Schauen Sie gern im Städel vorbei, im Original lassen sich sehr spannende Details auf den Fotografien entdecken.
Viele Grüße aus dem Städel
Silke Janßen